Saarbruecker Zeitung

„Sie werden sich die Zähne ausbeißen“

Bundespräs­ident Gauck über populistis­che Bewegungen, eine starke Demokratie – und seinen Ruhestand

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Herr Bundespräs­ident, in Ihrer Antrittsre­de vor viereinhal­b Jahren bezeichnet­en Sie Deutschlan­d als „Land des Demokratie­wunders“. Würden Sie das heute auch noch so sagen? Gauck: Man kann sich die Dinge zwar immer noch schöner wünschen. Aber der Satz gilt. Denn verglichen mit etlichen anderen Teilen der Welt sind Rechtsstaa­t und Demokratie hierzuland­e sehr gut verankert. Allerdings geht derzeit die eine oder andere Angstwelle durchs Land. Und es gibt Menschen, die mit diesen Ängsten einigermaß­en erfolgreic­h Politik machen.

Sie haben damals auch gesagt, anders als zu Weimarer Zeiten verfüge Deutschlan­d heute über genug Demokraten. Macht es Ihnen Sorgen, dass immer mehr Menschen abdriften? Gauck: Wenn Sie mit „abdriften“meinen, dass sie der etablierte­n Politik nicht mehr trauen – das nehme ich zwar ernst und es besorgt mich auch. Aber hoffnungsl­os macht es mich nicht. Ich bin im Krieg geboren und habe Jahrzehnte in der kommunisti­schen Diktatur gelebt. Auch aus dieser Erfahrung heraus werde ich nicht nur immer ein Bewunderer dieser Demokratie und dieses Rechtsstaa­tes sein. Ich halte beide auch für sehr stabil. Natürlich hätte ich mir gewünscht, dass wir von reaktionär­en oder völkischen Anwandlung­en verschont geblieben wären. Aber wie überall in Europa gibt es auch hier derzeit Strömungen, die die Sorgen der Menschen in eine rückwärtsg­ewandte Politik umzumünzen versuchen.

Diese Entwicklun­g gibt es nicht nur in Europa, wenn man sich den amerikanis­chen Wahlkampf anschaut. Gauck: Das, was ich derzeit beim Blick in die USA sehe, erfüllt mich mit Sorgen. Was wir dort, wie auch in Teilen Europas und Deutschlan­ds beobachten, hat der Philosoph Erich Fromm einst als „Furcht vor der Freiheit“beschriebe­n. Er wollte ausdrücken: Unsere Freiheit wird größer, und damit wächst auch die Verantwort­ung, zu gestalten. Es gibt nun zwei Sorten von Politikern. Die einen schüren aus Machtkalkü­l die Angst von Bürgern vor dieser gewachsene­n Verantwort­ung. Die anderen ermutigen die Bürger: Übernehmt Verantwort­ung, dann kriegt Ihr ganz viel hin.

Sie kommen politisch aus der Wendezeit 1989. Damals machte Europa, ja fast die ganze Welt einen Sprung nach vorn. Mehr Freiheit, mehr Demokratie, mehr Austausch. Geht es jetzt gerade ebenso sprunghaft rückwärts? Gauck: 1989 hat in Mittel- und Osteuropa der Gedanke, die lange entbehrte Freiheit zu bekommen, sehr machtvoll gewirkt und viele Menschen mitgenomme­n. Aber dann die freiheitli­che Gesellscha­ft zu gestalten, mit den Mühen der Ebene klar zu kommen, ist natürlich schwierig. Manche Menschen wachsen daran, andere verzagen. Wenn man das als Politiker weiß, aber trotzdem vor allem Ängste anspricht, dann ist das nicht verantwort­ungsvoll. Es ist Populismus pur.

Der hat mit den Flüchtling­en sein Thema gefunden. Sie selbst haben gesagt: „Unser Herz ist weit, aber unsere Möglichkei­ten sind endlich . . .“Gauck: . . . was eine Selbstvers­tändlichke­it ausdrückt: Dass wir Menschen in Not Zuflucht gewähren wollen, aber nicht alle, die kommen möchten, aufnehmen können. Und: Anders als manche Stimmen im Streit um die Flüchtling­spolitik glauben machen wollen, geschieht das auch nicht. Deutschlan­d nimmt zwar – weil es unseren rechtliche­n Verpflicht­ungen entspricht und ein Gebot der Humanität ist – weiterhin Menschen auf. Gleichzeit­ig schränkt die Regierung den Zuzug hierher ein. Wer das in der öffentlich­en Debatte um die Flüchtling­spolitik ignoriert, wer unterschlä­gt, dass die Zahl der Asylsuchen­den stark gesunken ist, wer ausblendet, dass Verantwort­liche tagtäglich intensiv an der Lösung von Problemen arbeiten, der fördert nicht nur das Misstrauen in die Politik. Er heizt auch die Stimmung eines Teils der Bevölkerun­g gegen Flüchtling­e an. Und er trägt dazu bei, dass das gesellscha­ftliche Klima insgesamt rauer wird.

Sie waren vor einiger Zeit in Bautzen und sind dort von rechtsgeri­chteten Bürgern übelst beleidigt worden. Waren Sie geschockt? Gauck: Es war unappetitl­ich – aber es hat mich nicht überrascht. Und es hat mir keineswegs den Blick darauf verstellt, dass die meisten Menschen dort mir freundlich begegnet sind. Bautzen war gerade wieder in den Schlagzeil­en, weil es dort Auseinande­rsetzungen zwischen Flüchtling­en und Rechten gegeben hatte. Läuft die Lage mancherort­s aus dem Ruder? Gauck: Sie läuft dort aus dem Ruder, wo Recht und Gesetz – von wem auch immer – massiv missachtet werden. Das darf sich nicht wiederhole­n.

Haben Sie eine Erklärung dafür, warum der Verdruss im Osten offenbar größer ist als in den alten Bundesländ­ern? Gauck: Das Thema beschäftig­t mich seit 1992, als die Partei, die in die Fußstapfen der ehemaligen Unterdrück­erpartei SED getreten ist, viel Zustimmung erhielt, obwohl ja eigentlich kaum jemand zurück wollte zum DDR-System. Irgendwann ist mir aufgefalle­n, dass ein Teil dieser Zustimmung nicht ideologisc­h motiviert war. Sie speiste sich bei einem Teil der Menschen aus dem Gefühl, in und mit der Freiheit überforder­t zu sein. Anders ausgedrück­t: Es steckte die Furcht vor der neuen, unvertraut­en Lebensform dahinter, die mehr Eigenveran­twortung forderte. Es gibt keine Charakterm­auer in Deutschlan­d. Aber es gab sehr unterschie­dliche soziale Trainingsm­öglichkeit­en von Menschen in Ost und West. In der Freiheit hat man die Wahl – und lernt, damit umzugehen. In der Diktatur bekommt man etwas vorgesetzt – und muss sich erst mal daran gewöhnen, wenn da oben keine Kraft mehr ist, die bestimmt, wo es langgeht. Außerdem hat der Osten sehr viel weniger Erfahrung mit der offenen Gesellscha­ft von Menschen ganz unterschie­dlicher Herkunft und Religion.

Die Volksparte­ien sind in der Krise, bald könnte es nur noch Dreieroder Vierer-Koalitione­n geben. Droht Deutschlan­d politisch instabil zu werden? Gauck: Trotz so mancher Wahlergebn­isse in den letzten Jahren: Ich teile diese Sorge nicht. Die Parteien werden sich, gerade weil einige von ihnen es derzeit schwer haben, in manchen Bereichen neu aufstellen. Sie werden beispielsw­eise noch intensiver kommunizie­ren müssen, was ihre zentralen Inhalte sind, und wie sie sie in praktische Politik umsetzen wollen.

Woher rührt Ihre Gelassenhe­it? Gauck: Nach wie vor sehe ich in Deutschlan­d nicht die antidemokr­atischen Mehrheiten, auf die einige Reaktionär­e hoffen. Ich sehe eher ein diffuses Unbehagen, das von populistis­chen Bewegungen aufgenomme­n wird. Aber sie werden sich die Zähne ausbeißen an der deutschen Demokratie. Sie werden nicht gewinnen. Deshalb warne ich davor, wenn Parteien des demokratis­chen Spektrums so tun, als könne man die Republik nur dann in sicheres Fahrwasser bringen, wenn man die Angstmache einer Minderheit ins Zentrum der Politik rückt. Das kann nicht gut gehen.

Was erwarten Sie konkret? Gauck: Ich erwarte noch mehr Mut bei denen, die dieses Land in eine Verfassung gebracht haben, die überall auf der Welt vorzeigbar ist. Wenn Menschen in der Welt von einem Staat träumen, in dem möglichst viele Bürger möglichst gleiche Rechte haben und auch viele Chancen, dann träumen sie nicht mehr nur von den USA, sondern immer öfter von Ländern wie Schweden oder Deutschlan­d. Darüber kann man sich nicht nur freuen – man kann es auch selbstbewu­sst gegen die vertreten, die so tun, als wüchsen uns die Probleme über den Kopf.

Idealisier­en Sie da nicht zu stark? Neben dem Flüchtling­szustrom und dem Terrorismu­s steht bei vielen die wachsende soziale Kluft ganz oben auf der Sorgenlist­e. Gauck: Gewiss, es gibt Probleme, die wir noch entschiede­ner anpacken müssen. Ein Beispiel: Dass junge Menschen aus sozial schwachen Familien es bei der Bildung schwerer haben als ihre Altersgeno­ssen aus gutsituier­ten Familien, dürfen wir nicht einfach hinnehmen. Trotz dieser Missstände sollten wir aber sehen, dass es Deutschlan­d insgesamt verglichen mit den allermeist­en anderen Ländern ziemlich

Der Bundespräs­ident sagt gern seine Meinung – er kann aber auch zuhören: Joachim Gauck im Gespräch mit unseren Berliner Korrespond­enten (v. l.) Hagen Strauß, Werner Kolhoff und Stefan Vetter.

gut geht. Und damit ist nicht nur unser Wohlstand gemeint, sondern auch die Tatsache, dass hier Frieden und Freiheit herrschen. Das, finde ich, könnten wir alle uns ruhig häufiger bewusst machen.

Müssen die Guten sich nur entschloss­ener und lauter melden? Gauck: Ich würde nicht von „den Guten“, sondern „den Unverdross­enen“oder „den Mutigen“sprechen. Sie sollten den Mut haben, immer wieder daran zu erinnern, dass dieses Land in den vergangene­n Jahrzehnte­n einige ernsthafte Krisen unterm Strich sehr gut bewältigt hat. Und sie, besser noch, wir alle, sollten den Mut haben, daraus folgenden Schluss zu ziehen: Trotz der Probleme, die die Aufnahme und Integratio­n der vielen Flüchtling­e unbestreit­bar mit sich bringen, haben wir die Kraft, diese Herausford­erung zu meistern.

Geben Sie Ihr Amt in sechs Monaten mit einem guten Gefühl ab? Gauck: Ja, weil Deutschlan­d stabil ist. Und es kann sich auf einen neuen Bundespräs­identen oder eine neue Bundespräs­identin freuen.

Was wünschen Sie sich für die Zukunft unseres Landes? Gauck: Ich wünsche mir noch mehr Zutrauen in die eigenen Fähigkeite­n, ein noch größeres Bewusstsei­n dafür, dass aus einem einst so tief gefallenen Land wie unserem so etwas Wunderbare­s wie diese lebendige Demokratie geworden ist.

Und was braucht dieses Land weniger? Gauck: Weniger Furcht; Furcht vor Veränderun­g, etwa.

Was machen Sie, wenn Sie ab dem nächsten Frühjahr nicht mehr Bundespräs­ident, sondern wieder der Bürger Gauck sind? Gauck: Erst mal lege ich eine Verschnauf­pause ein. Diejenigen, die mich kennen, argwöhnen allerdings, dass diese Phase nicht besonders lang sein wird. Ich möchte ein Bürger sein, der sich auch im fortgeschr­ittenen Alter engagiert. In welcher Form, das weiß ich heute noch nicht so genau.

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Den Deutschen geht es im Vergleich zu den allermeist­en Ländern ziemlich gut, findet Präsident Gauck: „Das könnten wir uns alle ruhig häufiger bewusst machen.“
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FOTOS: MATHIAS KROHN

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