Das Korsett des Mannes
Neu im Kino: „Hedis Hochzeit“von Muhamed Ben Attia – Ein kleiner, persönlicher Film über arragnierte Ehen
„Mein Land ist verkatert“, so beschreibt der Filmemacher Muhamed Ben Attia die Situation in seiner Heimat Tunesien fünf Jahre nach dem arabischen Frühling. Die Euphorie ist verflogen, die ökonomische Krise unübersehbar und ein gemeinsames Ziel nach dem Ende der Herrschaft Ben Alis nicht in Sicht. Aber um solch große gesellschaftliche und politische Fragen geht es in Attias Film erst einmal nicht. Sein „Hedis Hochzeit“erzählt eine private, intime Geschichte, von einem kleinen Mann, der immer alles tut, was von ihm erwartet wird - und plötzlich damit aufhört.
Hedi (Majid Mastoura) ist Mitte zwanzig und arbeitet bei der örtlichen PeugeotVertretung als Verkaufsagent. Die Geschäfte laufen schlecht. Einen Neuwagen kann sich zur Zeit kaum jemand leisten. Hedi wird demnächst Khedija heiraten. Das haben die Familien schon längst beschlossen. Seine verwitwete Mutter hat in ihrem Haus das Obergeschoss für das Brautpaar ausgebaut und nimmt auch die Hochzeitsvorbereitungen in die Hand. So wie sie alles im Leben ihres Jüngsten in die Hand genommen hat. Wenige Tage vor der Hochzeit wird Hedi von seinem Chef nach Mahdia ans Meer versetzt, wo er Rim (Rym Ben Messaoud) kennenlernt, die als Hotel-Animateurin schon weit in der Welt herumgekommen ist. So eine eigenständige und selbstbewusste Frau wie sie Der Peugeot-Händler Hedi (Majid Mastoura) rebelliert innerlich gegen das tunesische Männerbild. hat Hedi noch nie gesehen und ihm gefällt, was er sieht. Aus einem unbeholfenen Annäherungsversuch entsteht eine Affäre, die den jungen Mann aus der vorgezeichneten Lebensumlaufbahn wirft.
In „Hedis Hochzeit“geht Attia das Thema arrangierte Ehe einmal aus Männerperspektive an und zeigt einen jungen, von sich selbst überraschten Mann, der im Rausch der Liebe das eigene Leben auf den Kopf stellt. Auf sehr sensible Weise verdeutlicht der Film, dass auch in arabischen Ländern die Geschlechterrollen in Bewegung sind, was ganz nebenbei auch westliche Vorurteile gründlich hinterfragt. Aber natürlich ist Hedis kleine Rebellion gegen das enge Korsett der traditionellen Normen auch ein Sinnbild für einen notwendigen zweiten Umwälzungsprozess. Dass es bis dahin noch ein langer Weg und das Happy End keineswegs gewiss ist – auch davon erzählt dieser kleine ganz, persönliche Film, der bei der diesjährigen Berlinale zurecht mit dem Silbernen Bären für den besten Hauptdarsteller ausgezeichnet wurde. (Tunesien u.a. 2015, 88 Min., Filmhaus (Sb); Regie: Muhamed Ben Attia)