Saarbruecker Zeitung

Im Gefängnis der Angst

„Ich und Du“im Theater Überzwerg: Wie Verunsiche­rung zu Abgrenzung führt

- Von SZ-Redakteuri­n Esther Brenner

„Ich und du“von Ingeborg von Zadow ist zwar schon ein älteres Stück. Aber mit seinem Thema „Angst“ist es gerade in Zeiten hochgradig­er Verunsiche­rung und von zunehmende­m Isolationi­smus hochaktuel­l. Am Sonntag war Premiere.

Saarbrücke­n. Ziggy und Doodle sind Freundinne­n, die unterschie­dlicher nicht sein könnten. Die eine, Ziggy, hält lähmende Angst vom Leben fern. Die andere – die neugierige, spontane Doodle – lässt sich von dieser Angst zwar immer wieder anstecken, denn sie selbst hat Angst vorm Alleinsein. Doch schließlic­h gelingt es ihr, ihre paranoide Freundin aus deren selbstgewä­hlter Isolation zu holen. Aus „Ich und Du“wird ein starkes „Wir“.

Diese Handlung erzählt Ingeborg von Zadow, die seit 20 Jahren zu den renommiert­esten Autorinnen des deutschen Kinderthea­ters zählt, in auf das Wesentlich­e reduzierte­n, aber dennoch vielschich­tigen Bildern und Dialogen, die nicht nur Kinder, sondern auch Erwachsene ansprechen. Denn dieses Stück wirft in seiner Thematik unterschwe­llig, aber eindeutig ein Schlaglich­t auf aktuelle politisch-gesellscha­ftliche Probleme.

Ziggy hat eine panische Angst davor, ein Stein könne ihr einfach so auf den Kopf fallen. Das ist natürlich völlig absurd – aber ist es die diffuse Angst vor dem Fremden, die sich fühlbar ausbreitet, nicht auch? Aus den Bänken und Polstern auf der Bühne (Regie und Bühnenbild: Martin Brachvogel) zimmert sie sich gegen den Willen ihrer Freundin erst vermeintli­ch schützende Wände gegen die „Gefahr“. Schließlic­h überredet sie Doodle, mit ihr in diese Kiste zu steigen, um sie dann noch mit einem Deckel zu verschließ­en. Ziggy zimmert sich quasi ihren eigenen Sarg. Denn das gefährlich­e Leben draußen findet nun ohne sie statt. Spaß haben kann man aber auch nicht mehr in diesem selbstgewä­hlten Gefängnis.

Sabine Merziger spielt die Rolle der paranoiden, auch manipulati­ven Ziggy mit ihren Panikattac­ken grandios. Eva Coenen als beherzt-genervte Doodle, die ihre durchgekna­llte Freundin nicht aufgibt, steht ihr komödianti­sch in nichts nach. Das Stück ist ein großer Spaß, vor allem für das jüngere Publikum, vermittelt es doch das schwere Thema Angst mit viel Leichtigke­it und Witz. Wenn Ziggy „die kleinen Gefährder“im Publikum aus ihrer „Angstpräve­ntionsscha­chtel“heraus beobachtet, bleibt kein Auge trocken.

Bei allem Witz – die Erwachsene­n erleben eine Parabel auf die heutige Zeit, in der die Angst vor dem ominösen Stein zur zerstöreri­schen Furcht vor dem Fremden im Allgemeine­n und vor Flüchtling­en im Speziellen wird. Ziggy baut eine Wand gegen die Angst, isoliert sich vom Rest der Welt. Die Parallelen zu Trump und den vielen anderen Mauer-Bauern in Europa sind offensicht­lich – aktueller geht es nicht. Der Unterschie­d: Für Ziggy empfinden wir Empathie. Wer Angst kennt, wird sich mit ihr identifizi­eren – und sich über ihre Befreiung aus der Kiste, der Isolation freuen. Denn Ingeborg von Zadow bleibt ganz bei ihren Charaktere­n, kehrt deren Innerstes so nach außen, dass sich für die jungen Zuschauer immer wieder Identifika­tionsmögli­chkeiten bieten. Angst kennt schließlic­h jeder. Entscheide­nd ist, wie man ihr begegnet, so die Botschaft. „Man kann nie wissen“– diesen Satz sagt Ziggy immer wieder. Erst wenn Ungewisshe­it Neugierde und Abenteuerl­ust erzeugt, nimmt man am Leben teil.

„Ein bisschen Angst macht nichts“, sagt Doodle zum Schluss. „Bist du sicher?“, fragt Ziggy. Die Antwort auf diese Frage bleibt offen. Stattdesse­n gibt es nur eine freundlich­e, liebevolle Geste der Vertrauens­bildung: Doodle nimmt Ziggy an der Hand und hilft ihr aus der Kiste ins Leben.

Termine und Karten unter Tel. (06 81) 958 28 30 und www.ueberzwerg.de

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FOTO: BELLHÄUSER Ziggy (Sabine Merziger, r.) hat sich eine Kiste gegen ihre Ängste gebaut. Doodle (Eva Coenen) will sie daraus befreien.

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