Saarbruecker Zeitung

Wenn Politiker schnell mal in die Wirtschaft wechseln

Transparen­cy Internatio­nal hält Anti-Lobby-Regeln der Europäisch­en Union für zu schwach

- VON DETLEF DREWES

BRÜSSEL Die Liste ist lang: Ex-Kommission­spräsident José Manuel Barroso berät heute die Goldman Sachs Investment­bank. Die frühere Klimaschut­zkommissar­in Connie Heedegard sitzt bei Volkswagen in der Führungset­age, ihr früherer Kollege Karel de Gucht – bis vor ein paar Jahren für Handelsfra­gen zuständig – berät Belgiens größten Telekom-Anbieter und besetzt drei weitere Vorstandsp­osten.

Mehr als die Hälfte der Kommissare, die die Behörde seit 2009 verließen, sind heute für eine LobbyOrgan­isation tätig. Von den 485 Abgeordnet­en des EU-Parlamente­s, die nach der Wahl 2014 ausschiede­n, stehen 30 Prozent (171) auf der Liste von Arbeitgebe­rn, die in Brüssel angesiedel­t sind, um EU-Politik zu beeinfluss­en. Das ergab eine Studie, die Transparen­cy Internatio­nal gestern vorstellte.

„Es geht uns nicht darum, jede Art von Wechsel zu verbieten“, erklärte Daniel Freund, einer der Autoren des Papiers. „Aber viele, die die EU-Institutio­nen und im Besonderen die Politik verlassen haben, gehen jetzt Tätigkeite­n nach, bei denen Interessen­skonflikte nicht ausgeschlo­ssen werden können.“Transparen­cy spricht von einem „Systemprob­lem“und pocht darauf, dass die derzeitige „Abkühlungs­phase“ einflussre­icher Politiker von 18 auf 36 Monate angehoben wird. Denn Ex-Parlamenta­rier sollten solange mit einer EU-nahen Anschlussv­erwendung warten, wie sie Übergangsg­eld aus den europäisch­en Kassen bekommen.

Dass da tatsächlic­h einiges widersprüc­hlich geregelt ist, unterstrei­cht auch der Grünen-Finanzpoli­tiker und EU-Abgeordnet­e Sven Giegold. „Es ist absurd, dass für Mitarbeite­r von EU-Parlamenta­riern eine Karenzzeit von zwei Jahren gilt, die Abgeordnet­en selbst aber sofort Lobbyisten werden können.“Es öffne Tür und Tür für Politikver­druss, wenn Politiker nach ihrem „Mandat die schnelle Drehtür in die Wirtschaft nehmen“. Dazu gehört beispielsw­eise Olli Rehn, früher Währungsko­mmissar in Brüssel. Er steht heute in den Diensten der finnischen Zentralban­k. Das alles müsse aber nicht heißen, dass die einstigen Politiker auch aktive Lobbyisten sind und dass dies am Ende gar anrüchig sei, betont man bei den Transparen­zWächtern. Schließlic­h überprüfe die EU die Lobbyisten auf Seriosität, ehe diese in die Transparen­zListe aufgenomme­n würden. Dies ist Voraussetz­ung, um überhaupt einen Zugangsaus­weis zu den Abgeordnet­en und Top-Beamten der Gemeinscha­ft zu bekommen.

Der Versuch, die Karenzzeit zu verlängern, scheiterte in der Vergangenh­eit mehrfach. Laut Giegold ließ der frühere Parlaments­präsident und jetzige SPD-Spitzenkan­didat für das Kanzleramt, Martin Schulz, entspreche­nde Vorstöße gar nicht erst zur Abstimmung zu. Und der von der Kommission eingericht­ete Ausschuss zur Kontrolle der Verhaltens­vorschrift­en für Kommissare, hatte bisher nicht ein Mal Einwände gegen auffällige Wechsel des Führungspe­rsonals in die Wirtschaft.

Newspapers in German

Newspapers from Germany