Obduktion einer Beziehung
Neu im Kino: „The Salesman“von Asghar Farhadi – Der iranische Regisseur mit einer sensiblen Analyse
Es beginnt mit einer grundlegenden Erschütterung, die Risse in die Wände treibt. Durch Bauarbeiten auf dem Nachbargrundstück wird das Fundament eines Mietshauses in Teheran beschädigt. Die Bewohner müssen ihre Apartments verlassen. Das Gebäude ist einsturzgefährdet. Um die Risse, die ein gewaltsames Ereignis in das Leben zweier Menschen treibt, wird es auch in Asghar Farhadis „Salesman“gehen.
Unter den Evakuierten ist das Schauspielerpaar Emad (Shahab Hosseini) und Rana (Taraneh Alidoosti). Ein Kollege bietet ihnen eine Wohnung an, die erst kürzlich frei geworden ist. Als es eines Abends klingelt, drückt Rana auf den Türöffner, weil sie glaubt, es sei ihr Mann, öffnet die Wohnungstür und verschwindet im Bad. Aber Emad kommt später als geplant nach Hause und muss erfahren, dass seine Frau in der Wohnung überfallen und möglicherweise vergewaltigt wurde.
Rana wurde niedergeschlagen und kann (oder will) sich an die Ereignisse nicht erinnern. Während sie vergeblich versucht, die traumatischen Erlebnisse hinter sich zu lassen, setzt Emad alles daran, den Täter ausfindig zu machen. Aber je tiefer er sich in die kriminalistische Recherche einarbeitet, desto weiter entfernt er sich von seiner Frau, zu deren Leid er keinen tröstenden Zugang findet.
Was in Hollywood in einem Rachethriller kanalisiert Die junge Iranerin Rana (Taraneh Alidoosti) ist abends in ihrer Wohnung überfallen worden. würde, wird unter Farhadis Regie zu einer umsichtigen Obduktion einer Beziehung, die im Umgang mit dem gewalttätigen Ereignis zu zerbrechen droht. Wie schon in dem Scheidungungsdrama „Nader und Simin“beweist sich Farhadi hier erneut als sensibler Analytiker des Verhältnisses zwischen Männern und Frauen in der iranischen Gesellschaft. Der Fokus liegt dabei auf der Figur des Ehemannes, in dem sich unartikuliertes Mitgefühl, gekränktes Beschützer-Ego und latente Rache-Instinkte zu einer emotionalen Mixtur anstauen, die ihn immer weiter von der eigentlich Betroffenen entfernt.
„Salesman“zeigt eindrücklich, dass die Verfolgung des Täters – gerade in einer Gesellschaft ohne tragfähiges Rechtssystem – ein hilfloser Versuch zur Traumabewältigung bleibt, der nur in weitere moralische und persönliche Sackgassen führt.
Iran/Frankreich 2016, 123 Min., Camera Zwo (Sb); Regie und Buch: Asghar Farhadi; Kamera: Hossein Jafarian; Musik: Sattar Oraki; Darsteller: Shahab Hosseini, Taraneh Alidoosti, Babak Karimi, Farid Sajjadihosseini.
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