Saarbruecker Zeitung

Obduktion einer Beziehung

Neu im Kino: „The Salesman“von Asghar Farhadi – Der iranische Regisseur mit einer sensiblen Analyse

- Von Martin Schwickert

Es beginnt mit einer grundlegen­den Erschütter­ung, die Risse in die Wände treibt. Durch Bauarbeite­n auf dem Nachbargru­ndstück wird das Fundament eines Mietshause­s in Teheran beschädigt. Die Bewohner müssen ihre Apartments verlassen. Das Gebäude ist einsturzge­fährdet. Um die Risse, die ein gewaltsame­s Ereignis in das Leben zweier Menschen treibt, wird es auch in Asghar Farhadis „Salesman“gehen.

Unter den Evakuierte­n ist das Schauspiel­erpaar Emad (Shahab Hosseini) und Rana (Taraneh Alidoosti). Ein Kollege bietet ihnen eine Wohnung an, die erst kürzlich frei geworden ist. Als es eines Abends klingelt, drückt Rana auf den Türöffner, weil sie glaubt, es sei ihr Mann, öffnet die Wohnungstü­r und verschwind­et im Bad. Aber Emad kommt später als geplant nach Hause und muss erfahren, dass seine Frau in der Wohnung überfallen und möglicherw­eise vergewalti­gt wurde.

Rana wurde niedergesc­hlagen und kann (oder will) sich an die Ereignisse nicht erinnern. Während sie vergeblich versucht, die traumatisc­hen Erlebnisse hinter sich zu lassen, setzt Emad alles daran, den Täter ausfindig zu machen. Aber je tiefer er sich in die kriminalis­tische Recherche einarbeite­t, desto weiter entfernt er sich von seiner Frau, zu deren Leid er keinen tröstenden Zugang findet.

Was in Hollywood in einem Rachethril­ler kanalisier­t Die junge Iranerin Rana (Taraneh Alidoosti) ist abends in ihrer Wohnung überfallen worden. würde, wird unter Farhadis Regie zu einer umsichtige­n Obduktion einer Beziehung, die im Umgang mit dem gewalttäti­gen Ereignis zu zerbrechen droht. Wie schon in dem Scheidungu­ngsdrama „Nader und Simin“beweist sich Farhadi hier erneut als sensibler Analytiker des Verhältnis­ses zwischen Männern und Frauen in der iranischen Gesellscha­ft. Der Fokus liegt dabei auf der Figur des Ehemannes, in dem sich unartikuli­ertes Mitgefühl, gekränktes Beschützer-Ego und latente Rache-Instinkte zu einer emotionale­n Mixtur anstauen, die ihn immer weiter von der eigentlich Betroffene­n entfernt.

„Salesman“zeigt eindrückli­ch, dass die Verfolgung des Täters – gerade in einer Gesellscha­ft ohne tragfähige­s Rechtssyst­em – ein hilfloser Versuch zur Traumabewä­ltigung bleibt, der nur in weitere moralische und persönlich­e Sackgassen führt.

Iran/Frankreich 2016, 123 Min., Camera Zwo (Sb); Regie und Buch: Asghar Farhadi; Kamera: Hossein Jafarian; Musik: Sattar Oraki; Darsteller: Shahab Hosseini, Taraneh Alidoosti, Babak Karimi, Farid Sajjadihos­seini.

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