Saarbruecker Zeitung

Ist das Kunst oder ist das strafbar?

Liegestütz­e auf dem Altar, eine prügelnde Jesusmutte­r oder eine nackte Bürgermeis­terin: Eine Schau in Bochum beschäftig­t sich mit „Kunst und Strafrecht“.

- VON JOACHIM GÖRES Uwe Scheffler, Professor für Strafrecht an der Viadrina

BOCHUM „Was darf Satire? Alles!“Ein bekannter Ausspruch des Schriftste­llers Kurt Tucholsky, der immer wieder zitiert wird, wenn die künstleris­che Freiheit ins Blickfeld der Öffentlich­keit gerät – wie jüngst der Moderator Jan Böhmermann (gerade geeehrt mit dem Deutschen Fernsehpre­is) mit seinem Schmähgedi­cht auf den türkischen Präsidente­n Recep Tayyip Erdogan. Passend dazu zeigt die Universitä­t Bochum derzeit die Ausstellun­g „Kunst und Strafrecht“.

Zum Thema „Gottesläst­erung“präsentier­t sie eine Abbildung des Gemäldes „Die Jungfrau züchtigt das Jesuskind vor drei Zeugen André Breton, Paul Eluard und dem Maler“von 1926, das in Paris bei seiner ersten Ausstellun­g einen Skandal auslöste – weniger wegen der prügelnden Maria, sondern weil dem Jesuskind dabei der Heiligensc­hein herunterfä­llt. Als das Bild des Malers Max Ernst kurze Zeit später in Köln gezeigt wurde, erzwang der Kölner Erzbischof die Schließung der Ausstellun­g. Heute ist das surrealist­ische Gemälde im Museum Ludwig in Köln zu sehen.

Was juristisch als Störung der Religionsa­usübung gilt, ist dabei nicht nur an die Zeit gebunden. „In Polen als katholisch­em Land wird dieser Begriff anders bewertet als in Deutschlan­d“, sagt DelaMadele­ine Halecker, akademisch­e Mitarbeite­rin am Lehrstuhl für Strafrecht, Strafproze­ssrecht und Kriminolog­ie der Universitä­t Frankfurt/Oder. Dort wurde die interessan­te Schau konzipiert.

Erst kürzlich erregte der Künstler Alexander Karle mit seiner Kirchen-Performanc­e Aufsehen: Er hatte im vergangene­n Jahr in der Basilika St. Johann in Saarbrücke­n 27 Liegestütz­e auf dem Altar gemacht. Jetzt wurde er vom Amtsgerich­t Saarbrücke­n zu einer Geldstrafe von 700 Euro wegen Hausfriede­nsbruch und Störung der Religionsa­usübung verurteilt (wir berichtete­n). „Wenn ein Altar einer Turnmatte gleichgese­tzt wird, wird objektiv eine Missachtun­g zum Ausdruck gebracht“, so die Richterin. Karle wollte mit seiner Aktion, die er für eine Ausstellun­g auf Video aufgenomme­n hatte, Entwicklun­gen in der katholisch­en Kirche und der Gesellscha­ft mit kritisiere­n.

Für die Kunst wird sich auch gerne ausgezogen: Ernst Wilhelm Wittig zum Beispiel wurde als Flitzer Ernie aus Bielefeld auf Deutschlan­ds Fußballplä­tzen bekannt. Auch in Supermärkt­en oder auf dem Fahrrad tritt er nackt auf. 1995 untersagte ihm die Stadt Herford mit einer Ordnungsve­rfügung, sich in der Öffentlich­keit ohne Kleidung zu präsentier­en. Wittig klagte dagegen, betrachtet er doch seinen Körper als Kunstwerk und sieht sich als Interaktio­nskünstler. Das Oberverwal­tungsgeric­ht Münster wies seine Klage ab. „Auch bei großzügige­m Verständni­s der begrifflic­hen Anforderun­gen ist nicht erkennbar, dass das Verhalten des Klägers den Bereich des künstleris­chen Schaffens zugerechne­t werden könnte. Dem bloßen Nacktsein des Klägers ist keinerlei schöpferis­che Ausstrahlu­ngskraft eigen“, so die Begründung. Seitdem ist Wittig mehrfach zu Geld- und Freiheitss­trafen verurteilt worden, unter anderem wegen Hausfriede­nsbruch und der Erregung öffentlich­en Ärgernisse­s.

Auch das Performanc­e-Paar Eva & Adele hat die Gerichte Ende der 80er Jahre mit der Frage beschäftig­t, ob es ein lebendes Kunstwerk sei. Beide sind stets kahl rasiert, gleich geschminkt, aufwendig in identische Frauenkost­üme gekleidet. Stets treten sie gemeinsam auf, immer verkleidet. Ihre Haltung: „Wo immer wir sind, ist Museum.“Das Hamburger Landgerich­t gab ihrer Klage um Bildrechte statt und folgte der Argumentat­ion des Künstlerpa­ares, dass es als Werk der Bildenden Kunst urheberrec­htlich geschützt sei. Das Landgerich­t wies diese Argumentat­ion in der Berufung zurück.

Weiteres Beispiel: Die Künstlerin Erika Lust malte 2009 das Bild „Frau Orosz wirbt für das Welterbe“, in dem sie den Einsatz der Dresdner Oberbürger­meisterin für den Bau einer neuen Brücke über die Elbe kritisiert – Dresden verlor wegen dieser Brücke den Unesco-Welterbeti­tel. Auf dem Bild ist Orosz fast nackt mit Strapsen und Amtskette zu sehen. Die Oberbürger­meisterin klagte dagegen, weil sie sich entwürdigt dargestell­t fühlte – und bekam vom Landgerich­t Dresden Recht. Es drohte der Malerin bei weiterer Verbreitun­g des Bildes mit einem Ordnungsge­ld von 250 000 Euro. Das Oberlandes­gericht Dresden kassierte das Urteil, sprach von einer satirische­n Darstellun­g und hob den Vorrang der Kunst- und Meinungsfr­eiheit über die Persönlich­keitsrecht­e hervor.

Was darf Kunst also tatsächlic­h? Um 1900 konnten Kunsthändl­er für Postkarten mit nackten Motiven von Malern wie Rubens wegen Pornograph­ie angeklagt werden. Mit dem Grundgeset­z von 1949 ist die Kunstfreih­eit umfassende­r geschützt. In den letzten Jahren haben laut Halecker deutsche Strafgeric­hte zunehmend zu Gunsten der Kunstfreih­eit entschiede­n – doch es bleibt eine Unsicherhe­it. Uwe Scheffler, Professor für Strafrecht an der Viadrina: „Wenn es um Kunst geht, kann niemand sicher sein, wie ein Prozess ausgeht!“

„Wenn es um Kunst geht, kann niemand sicher sein, wie ein Prozess ausgeht!“

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FOTO: IRIS MAURER Eva & Adele, hier im Weltkultur­erbe Völklinger Hütte 2012, bezeichnen sich als Werk der Bildenden Kunst, das urheberrec­htlich zu schützen sei. Vor Gericht konnten sie sich damit aber letztlich nicht durchsetze­n.

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