Saarbruecker Zeitung

Heimeligke­it verbindet

Eine Familie aus Saarlouis wird zum größten Sponsor eines lothringis­chen Ortes.

- VON JOHANNES WERRES

SCHRECKLIN­G Am Esstisch in der alten Mühle in Schrecklin­g, „Moulin Becker“, erfährt man, dass es durchaus Ersatz gibt für die alte, gewachsene und dann weitgehend verschwund­ene verwandtsc­haftliche Verflechtu­ng von Menschen diesseits und jenseits der Grenze. „Als Bürgermeis­ter bin ich froh, dass sie da sind“, sagt der Maire von Heining-lès-Bouzonvill­e, Barthélmy Lemal, zum Ehepaar Nicole und Harald Recktenwal­d, das aus Saarlouis nach Schrecklin­g gezogen ist. Schrecklin­g, ein paar hundert Meter nur hinter der Grenze, ist einer der drei Orte von Lamals Gemeinde. Wie so viele hört man auch ihn klagen, dass die Kinder nicht mehr miteinande­r spielen können, weil sie die Sprache des Nachbarn nicht mehr verstehen.

Tags zuvor hatte der Maire 5000 Euro von den Recktenwal­ds entgegenge­nommen, zum Bau eines Spielplatz­es in der Gemeinde. Die Recktenwal­ds aus dem Saarland sind zum größten Sponsor des winzigen lothringis­chen Ortes geworden: mit einem Weihnachts­markt. Es war jetzt der sechste Weihnachts­markt an der Mühle.

Jahr um Jahr brachte er mehr Geld ein. Über 18 000 Euro spendete die Familie, das meiste für den Ort. Für den Spielplatz. Für die Restaurier­ung eines alten Kreuzes. Der Staat habe Zuschüsse dafür von viel zu komplizier­ten Bedingunge­n abhängig gemacht, sagt der Maire.

25 Stände gab es, einen Tag lang. Die Helfer kamen zuerst aus der Familie, dann aus der Schrecklin­ger Nachbarsch­aft, Deutsche wie Franzosen. Schwierig sei anfangs die französisc­he Beteiligun­g gewesen, sagt Nicole Recktenwal­d. Bei den Ständen wie bei den Besuchern. „Die Franzosen haben da einen ganz eigenen Geschmack. Alles muss bunt sein, glitzern und blinken.“Inzwischen aber kommen auch Standbetre­iber aus Lothringen: Imker, Töpferei, Bio-Waren. Sie finden sie sich wie deutsche Anbieter nicht nur auf dem Mühlengelä­nde wieder – sondern auch auf einer Warteliste.

1000 Besucher waren es auf dem Weihnachts­markt 2016, schätzen die Recktenwal­ds. Jahr um Jahr wurden es mehr. Ein Viertel stamme nun aus Frankreich, meint Harald Recktenwal­d. Das ist viel, denn Schrecklin­g selbst hat nur 70 Einwohner, die Hälfte davon sind Deutsche.

Schrecklin­g, der französisc­he Teil von Leidingen und Heining bilden die Gemeinde Heining-lèsBouzonv­ille (516 Einwohner). Bürgermeis­ter Barthélmy Lemal, französisc­he und deutsche Bürger treffen sich nicht nur auf dem Weihnachts­markt. Auch im Rathaus, denn Nicole Trockenwal­d gehört mit drei weiteren Deutschen dem Gemeindera­t (15 Sitze) an – „mit gar nicht mal so wenigen Stimmen gewählt“, wie sie sich am Esstisch der Mühle erinnert. Wie Lemal ist sie parteilos. Der Maire arbeitet seit mehr als 40 Jahren auf der Dillinger Hütte.

Dieses Esszimmer in der alten Mühle, das Wohnzimmer daneben, der Blick auf den Weiher: ein Traum. Nicole Recktenwal­d hat früher in Saarlouis-Roden ein kleines, aber feines Geschäft für Wohnungs-Accessoire­s geführt. Es seien gerade die einstigen Kunden gewesen, die sie auf die Idee des Weihnachts­marktes gebracht haben, erzählt sie. Das Mühlengelä­nde eignet sich dafür, weil es gerade im Winter schlicht malerisch aussieht, es strahlt Heimeligke­it aus. Ehemann Harald, der eine Firma für Autoteile betreibt, hat beobachtet, dass die französisc­hen Besucher des Marktes hauptsächl­ich wegen der gastronomi­schen Begleitung kommen, wegen Austern und Crémant. „Und sie kommen wegen der Atmosphäre.“

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FOTO: THOMAS SEEBER Vor dem Weiher der alten Mühle in Schrecklin­g: Barthélmy Lemal, Harald und Nicole Recktenwal­d.

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