Saarbruecker Zeitung

„Das Foto hat mein Leben verändert“

Ein Flüchtling wird als Terrorist verleumdet. Facebook sperrt die Beiträge – doch zig Nutzer haben sie schon geteilt. Jetzt ist der Fall um Fake News vor Gericht.

- VON BASTIAN BENRATH UND DANIEL STAFFEN-QUANDT

WÜRZBURG (dpa/epd) Eine Entscheidu­ng in dem mit viel Medieninte­resse bedachten Prozess zwischen einem syrischen Flüchtling und Facebook blieb zwar aus – aber zwischen den Anwälten der beiden Seiten ging es hoch her. Eine „Wundermasc­hine“bräuchte es, um wie vom Kläger gefordert festzustel­len, ob auch andere Nutzer eine verunglimp­fende Fotomontag­e mit dem Flüchtling Anas M. hochgelade­n hätten, argumentie­rte Facebook-Anwalt Martin Munz. „Die gibt es noch nicht.“Das sei „Unsinn“, hielt dem Chanjo Jun entgegen, der Anwalt des Flüchtling­s. „Wer Urheberrec­htsverletz­ungen aus einem Video live ermitteln kann, ist auch in der Lage, ein identische­s Bild zu erkennen.“Jun bezog sich damit auf Facebooks Maßnahmen gegen Urheberrec­htsverstöß­e.

Das Würzburger Landgerich­t vertagte gestern eine Entscheidu­ng darüber, ob Facebook selbst nach einmal gemeldeten hetzenden Fotomontag­en suchen und diese löschen muss. Die Richter wollten abwarten, ob die Parteien vielleicht doch noch einen Vergleich schließen.

Der 19-Jährige Anas M. hatte eine einstweili­ge Verfügung gegen das soziale Netzwerk beantragt, weil Unbekannte ein Selfie, das er 2015 mit Kanzlerin Angela Merkel (CDU) gemacht hatte, mehrfach neben Fahndungsf­otos von Terroriste­n montiert und den Anschein erweckt hatten, er sei ein gesuchter Terrorist. Die Posts wurden hundertfac­h geteilt. Bereits vor Prozessbeg­inn hatte Facebook die Ursprungsb­eiträge in Deutschlan­d gesperrt.

Ein Vergleich könnte sein, dass Facebook sich verpflicht­et, die verleumden­den Bilder von Anas M. europaweit zu löschen und auch mit allen künftig von ihm gemeldeten Bildern so zu verfahren. Er werde mit seinen Mandanten besprechen, ob man sich darauf einigen könne, sagte FacebookAn­walt Munz. „Ich halte das für möglich.“Sollte es nicht zu einer Einigung kommen, will das Gericht am 7. März seine Entscheidu­ng verkünden.

Ziel von Anas M. ist darüber hinaus aber, dass Facebook nach Duplikaten der verleumden­den Fotomontag­en suchen muss, auch wenn der Ursprungsb­eitrag gemeldet und gelöscht wurde. „Uns geht es darum, dass die Hetze, die Verleumdun­gen gegen Anas M. aufhören und dabei reicht es nicht aus, dass ein oder zwei Bilder gelöscht werden“, sagte sein Anwalt Jun. Von den Facebook-Anwälten wollte er wissen, weshalb der US-Konzern bislang daran festhalte, die Bilder nur zu blocken, statt sie zu löschen. Mit einer weltweiten Löschung von Inhalten sei der Konzern sehr vorsichtig, erwiderte Munz. Denn was nach deutschem oder EURecht nicht erlaubt sei, sei anderswo vielleicht in Ordnung.

Vorerst bleiben die Fake News, die Anas M. belasten, also zum Teil online. „Das Foto hat mein Leben verändert“, sagte er in Würzburg. In der Schule werde über ihn gelacht, viele Menschen redeten schlecht über ihn. „Facebook macht unsere Welt kaputt, jede Person schreibt etwas, und die Leute glauben das.“

Fake News in sozialen Netzwerken, also bewusst falsche Nachrichte­n, die Stimmung in eine bestimmte Richtung erzeugen sollen, verbreitet­en sich zuletzt unter anderem im US-Präsidents­chaftswahl­kampf. Mit der politische­n Debatte hat der Würzburger Prozess aber nur insofern zu tun, als dass Anas M. durch Fake News verleumdet wurde. Seine Persönlich­keitsrecht­e in dieser Form zu verletzen, ist aber bereits nach aktueller Rechtslage verboten – online wie offline.

„Es ist das Problem, dass der eigentlich­e Verursache­r nicht aufzufinde­n ist“, sagte der Vorsitzend­e Richter und bezog sich darauf, dass der eigentlich­e Verfasser der verleumden­den Fotomontag­e unbekannt ist. „Und ich erlaube mir die Anmerkung – wenn das möglich wäre, dann wäre mit dem ganzen Zauber hier ja Schluss.“Ähnlich argumentie­rte auch ein weiterer Anwalt Facebooks: „Es ist kein Inhalt, den Facebook hergestell­t oder auch nur angefasst hat“. Dass Facebook an Anas M. Schmerzens­geld zahlt, sei deshalb ausgeschlo­ssen.

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FOTO: GETTY IMAGES Das Selfie mit Kanzlerin Merkel von September 2015 sorgte dafür, dass es im Netz nun von Verleumdun­gen gegen den Syrer Anas M. wimmelt.
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FOTO: HILDENBRAN­D/DPA Anas M. mit seinem Anwalt Chan-jo Jun vor Gericht.

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