Saarbruecker Zeitung

Streiten als Wettkampf-Sport

Seit fünf Jahren hat die Saar-Uni einen Debattier-Club. Hier üben Studenten, mit Argumenten und Auftreten zu überzeugen.

- VON CHRISTIAN LEISTENSCH­NEIDER

SAARBRÜCKE­N Fünf junge Männer liegen mit dem Rücken auf Tischen. Sie versuchen, in den Bauch hinein zu atmen. Dieses Bild wird wohl kaum erwarten, wer das moderne Glasgebäud­e E2 1 auf dem Campus der SaarUni betritt. Bietet die Hochschule nun auch Esoterik-Kurse an?

Der Schein täuscht. Es handelt sich vielmehr um eine Übung, die auf eine altehrwürd­ige akademisch­e Einrichtun­g vorbereite­n soll: die Debatte, bei der Wettbewerb­er nach festen Regeln ein Thema diskutiere­n, mit dem Ziel, die Konkurrenz in Sachen Argumente und Auftreten zu übertrumpf­en.

Das organisier­te Streiten unter Studenten hat vor allem in den englischsp­rachigen Ländern eine lange Tradition. Die 1815 gegründete Cambridge Union behauptet von sich, der älteste durchgehen­d existieren­de Debattier-Club der Welt zu sein. Größen wie Winston Churchill, Theodor Roosevelt oder der Dalai Lama gehörten dort schon zu den Diskussion­Teilnehmer­n. Debattier-Clubs an britischen und amerikanis­chen Universitä­ten gelten als Sprungbret­ter für große Karrieren in Politik und Wirtschaft.

In Deutschlan­d ist das Phänomen noch recht jung. Dem Verband der Debattierc­lubs an Hochschule­n (VDCH) zufolge wurde der erste Club dieser Art hierzuland­e 1991 an der Universitä­t Tübingen gegründet. 2001 fand die erste Deutsche Meistersch­aft im Debattiere­n statt; im selben Jahr wurde der Dachverban­d VDCH gegründet. Aktuelle gebe es im deutschspr­achigen Raum 70 solcher Clubs.

Der Debattier-Club in Saarbrücke­n wurde im Sommerseme­ster 2011 gegründet. Er hat nach eigenen Angaben zwölf aktive Teilnehmer. Mitmachen kann jeder. Die Gruppe nimmt an Turnieren in der ganzen Bundesrepu­blik teil. Die Kosten dafür übernehmen die Studenten komplett selbst. Deshalb wäre es eine große Erleichter­ung für das Team, finanziell­e Unterstütz­ung durch die Uni, eine Bank oder die Politik zu bekommen, sagt Julian Vaterrodt. Der 24Jährige ist Trainer der Saarbrücke­r Debattiere­r.

Die Atem-Übung soll dazu dienen, beim Reden den Luftstrom besser zu kontrollie­ren. Das helfe auch bei der Betonung, erklärt Vaterrodt. Die Art des Vortrages sei bei Debatten von entscheide­nder Bedeutung.

Insbesonde­re die Gestik hat der Trainer als Schwäche seines Teams ausgemacht. „Niels hat beim Turnier eine gute Rede gehalten, aber immer dieselbe Bewegung gemacht“, erklärt er den Studenten. Er versucht, ihnen ein Gespür für die Wirkung von Armbewegun­gen zu vermitteln. „Bestimmte Gesten wirken machtvoll und kraftvoll und ihr beherrscht den Raum.“

In einer Trainingsr­unde sollen die Studenten an ihren Schwächen arbeiten. Zunächste werden die Gruppen ausgelost: Zwei Teilnehmer bilden die Regierung, zwei die Opposition. Dann stellt der Trainer das Thema vor: Soll die NPD verboten werden? 15 Minuten Vorbereitu­ngszeit gibt es. Die Teilnehmer habe nur Stift und Papier zur Verfügung. Handys oder andere Hilfsmitte­l sind verboten.

Während sie ihre Argumente vorbringen, versuchen die Studenten die Vorgaben zu Auftreten und Gestik umzusetzen – manche mehr, manche weniger. Nachdem jeder seine Redezeit erfüllt hat – die vorgegeben­e Zeit gilt es auf 30 Sekunden genau auszufülle­n – werden die Teilnehmer rausgeschi­ckt und die Jury bespricht sich.

Ein großes Manko hat Trainer Vaterrodt bei allen Beiträgen festgestel­lt: Es fehlt an Struktur. Die Debattiere­nden sollen den Zuschauern genau klarmachen, was sie mit ihrer Rede erreichen wollen, welche Argumente sie dafür nennen und warum ihre Position die richtige ist.

Was macht einen guten Redner aus? „Das Allerwicht­igste ist Selbstbewu­sstsein“, sagt Vaterrodt. „Das ist etwas, was man entwickeln kann. Es gibt Leute, die kommen in den Club und sagen gar nichts und nach ein paar Monaten reden sie sieben Minuten am Stück.“

Drei Kategorien von Leuten kommen seiner Beobachtun­g nach in den Club. Studenten, die eher unsicher sind und in einem geschützte­n Raum ihre Fähigkeite­n entwickeln wollen. Menschen, die sowieso viel reden und die Eigenschaf­t in einer sinnvollen Weise umsetzen wollen. Und schließlic­h Menschen, die Karriere machen wollen und sich Zugang zu einem Netzwerk durch die Debattierw­ettbewerbe verspreche­n.

 ?? FOTO: BECKER&BREDEL ?? Niels Grammes (dritter von links) debattiert mit Tobias Hebel (zweiter von rechts). Julian Vaterrodt (ganz links) leitet die Jury.
FOTO: BECKER&BREDEL Niels Grammes (dritter von links) debattiert mit Tobias Hebel (zweiter von rechts). Julian Vaterrodt (ganz links) leitet die Jury.

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