Vonn will es machen wie Federer
Die US-Amerikanerin Lindsey Vonn ist der Star im Ski-Zirkus. Beim ersten WM-Rennen heute sind alle Augen auf die 32-Jährige gerichtet.
ST. MORITZ (sid) Lucy schmeckt’s. Das Hündchen von Ski-Star Lindsey Vonn schleckt gierig das blaue Mikrofon ab, das Frauchen unter die Nase gehalten wird. Vonn, die vor dem heutigen Auftakt der alpinen Ski-WM in St. Moritz mit dem Super-G (12 Uhr/ZDF und Eurosport) viele Fragen beantworten muss, lächelt süß-säuerlich dazu. „Sie liebt Mikrofone“, sagt sie und meint zu Lucy: „Du bist ein Star!“
Ein Star – das ist vor allem Vonn selbst. Die 32 Jahre alte Amerikanerin ist die bekannteste Athletin im alpinen Ski-Zirkus. Weil sie gewinnt und gewinnt und gewinnt. 77 Weltcup-Siege – nur Ingemar Stenmark hat mehr (86). Den legendären Schweden zu überholen, ist Vonns größtes Ziel – wichtiger als Olympia- oder WM-Gold, wichtiger als all die Kristall-Kugeln, wie sie in St. Moritz sagt.
Doch es sind nicht nur die Siege, die Vonn so populär machen. Keine Rennfahrerin bedient ihre Fans über die sozialen Medien so offen wie sie. Niemand liefert so zuverlässig Stoff für gute Geschichten. „Die Frau ist ein einziges Drama“, schreibt die „Neue Zürcher Zeitung“, und es stimmt ja. Seit Vonn 2004 ihr erstes Rennen im Weltcup gewann, herrscht Theater um sie.
Auch und vor allem bei Großereignissen. Stürze, schwere Verletzungen, Tränen, Liebesgeschichten, Familiendramen oder Zickenkriege – alles schon da gewesen. Auch Kurioses: Nach Doppelgold bei der Weltmeisterschaft 2009 durchtrennt sich Vonn eine Sehne am Daumen – beim Öffnen einer Champagnerflasche. Zwölf Monate später gewinnt sie bei Olympia in der Abfahrt zum bislang letzten Mal eine Goldmedaille.
Auch in dieser Saison geht’s nicht ohne Drama. Vonn bricht sich den rechten Oberarm, ihre Reha lässt sie von Eurosport begleiten, die Dokumentation lief am Sonntag zur besten Sendezeit. Während ihrer Zwangspause stellt sie den Football-Trainer Kenan Smith als ihren neuen Freund vor – und Nachfolger von Tiger Woods – und spricht im US-Fernsehen über ihre Depression. „Manchmal bin ich sehr einsam“, klagt sie.
Richtig wohl fühlt sich Vonn nur auf der Ski-Piste. Sie gewinnt gleich ihr zweites Rennen nach der Rückkehr, doch bei der WMGeneralprobe in Cortina d’Ampezzo stürzt sie. Zur Frustbewältigung fährt Vonn mit Smith nach Venedig. Ins Internet stellt sie Küsschen-Bilder. Jetzt sei sie „bereit“für die WM, behauptet Vonn, die rechte Hand mache ihr nach dem Oberarmbruch aber noch Probleme. „Die Haare kann ich mir noch nicht machen, aber wenigstens das Make-up“, meint sie. Klar, Lokalmatadorin Lara Gut sei im Super-G schwer zu schlagen. „Aber ich kenne den Berg, Gold ist möglich“. Etwas anderes interessiert eh nicht: „Siegen oder rausfliegen, das ist meine Mentalität.“
Vonn startet in St. Moritz in drei Disziplinen – neben dem Super-G auch in der Abfahrt und der Kombination. „Ich hoffe, dass ich eine Medaille gewinnen kann. Das ist das Ziel“, sagt sie: „Mein Selbstvertrauen ist sicher nicht so hoch wie normalerweise. Aber ich weiß, was es braucht, um eine Medaille zu gewinnen.“
Zum Beispiel Inspiration. Ihr Vorbild sei Roger Federer, der Tennis-Held. „Viele sagten, er sei zu alt. Dass er nach seiner Verletzung nicht mehr zurückkommen würde – und dann gewinnt er die Australian Open. Ich sehe Parallelen“, sagt sie. Außerdem sei der Schweizer „ein bescheidener Champion, und das gibt’s nicht oft“. Apropos bescheiden: Vonn und Lucy wohnen in St. Moritz im Kempinski Hotel auf 200 Quadratmetern in drei Schlafzimmern. Preis für Normalbürger: 18 000 Euro pro Nacht.
„Ich weiß, was es braucht, um eine Medaille zu gewinnen.“Lindsey Vonn über die heute beginnende Alpin-WM in St. Moritz