Saarbruecker Zeitung

Schmerzens­geld wegen Geheimnis um HIV

Ein infizierte­r Mann steckt seine Freundin beim Sex an. Schmerzens­geld will er nicht zahlen. Warum? Das Virus gebe es gar nicht.

- VON BRITTA SCHULTEJAN­S

MÜNCHEN (dpa) Eine Frau lernt einen Mann kennen. Die beiden treffen sich öfter – irgendwann geht es um Sex. Weil die Ex-Freundin des Mannes an einer Immunschwä­che gestorben ist, besteht die Frau auf einen Aidstest, bevor sie das erste Mal mit ihm schläft. Das sichert er ihr zu. Das Ergebnis sei negativ, versichert­e er. Doch Monate später ist die Frau selbst HIV-positiv.

Die inzwischen 60-Jährige hat nun in einem Zivilproze­ss vor dem Oberlandes­gericht München 71 000 Euro Schmerzens­geld plus Zinsen zugesproch­en bekommen, wie das Gericht gestern entschied. Außerdem muss der Mann für eventuelle materielle und immateriel­le Schäden, die der Frau künftig entstehen, zu zwei Dritteln aufkommen. Warum?

Erstens: „Im Grunde genommen hat die Person, die von einer HIVInfekti­on Kenntnis hat, eine Aufklärung­sund Offenbarun­gspflicht“, erläutert der Berliner Anwalt für Medizinrec­ht, Volker Loeschner. „Das liegt daran, dass HIV durchaus tödlich verlaufen und somit eine gefährlich­e Körperverl­etzung oder sogar eine Körperverl­etzung mit Todesfolge vorliegen kann. Der Mann hat dann möglicherw­eise seine Sorgfalts- und – so komisch das in diesem Zusammenha­ng klingen mag – Verkehrssi­cherungspf­licht verletzt.“Diese Pflicht bedeute in dem Fall „das, was jedem einleuchte­t, was man machen muss, um Gefahren klein zu halten“. Der Mann habe allerdings nicht, wie zugesagt, einen Aidstest gemacht, sondern nur einen allgemeine­n Gesundheit­scheck gemacht und gesagt, bei ihm sei alles in Ordnung, hieß es vor Gericht. Diese Tests sind zwar freiwillig, betont Loeschner. „Aber er darf die Frau dann nicht täuschen.“

Das Gericht befasste sich zudem auch mit der Frage, wann die Ansteckung mit dem HI-Virus stattgefun­den hat. Nach Ansicht eines sachverstä­ndigen Arztes geschah das wahrschein­lich nicht gleich beim ersten Geschlecht­sverkehr, sondern zu einem späteren Zeitpunkt. Der Zeitpunkt war aus Sicht des Gerichts wichtig, weil es die Möglichkei­t gibt, dass die Klägerin zu dem Zeitpunkt schon Zweifel an dem fälschlich behauptete­n Aidstest gehabt haben könnte. In dem Fall könne eine „eigenveran­twortliche Selbstgefä­hrdung“der Frau nicht ausgeschlo­ssen werden. So fällt das Schmerzens­geld auch deutlich geringer aus als gefordert. Sie wollte eigentlich 160 000 Euro.

Der Beklagte hat im Übrigen seine eigenen Ansichten zu dem Fall: Selbst seine Anwältin entschuldi­gte sich bei den Prozessbet­eiligten dafür, dass sie im Auftrag ihres abwesenden Mandanten die Expertise einer Ärztin vorlesen musste, in der es hieß, das HI-Virus gebe es überhaupt nicht und die Immunschwä­chekrankhe­it Aids habe damit rein gar nichts zu tun. Der Anwalt der Frau bezeichnet­e die Ausführung­en der Ärztin als „weiteren Schlag ins Gesicht“seiner Mandantin.

Der Fall ist nicht das erste Mal, dass eine HIV-Infektion die Justiz beschäftig­t. Seit 1987 gab es nach Angaben der Deutschen Aids-Hilfe 50 Strafrecht­sprozesse, von denen zwei noch nicht abgeschlos­sen sind. Die Deutsche Aids-Hilfe lehnt die Strafbarke­it der HIVÜbertra­gung ab. Sie bürde, so die Begründung, Menschen mit HIV einseitig die Verantwort­ung auf. Jeder Mensch könne und müsse selbst für Schutz sorgen.

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FOTOS: DPA(2) Dieses Tests schaffen Klarheit, ob eine HIV-Infektion vorliegt.

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