Saarbruecker Zeitung

Pulsierend­e Beats im Ohr

„Future Politics“von Austra zieht die Zuhörer mit seiner Eindringli­chkeit und Radikalitä­t in den Bann

- Von Andreas Lüschen-Heimer

Baba Zula „XX“(Glitterbea­t/Indigo): Wer Mehmet Levent Akman und Osman Murat Ertel je auf einer Festival- oder Club-Bühne erleben durfte, wird deren aus Krautrock, türkischem Folk, Space Rock und verschlurf­tem Reggae gewirkte Magie nie vergessen. Und auch nicht deren Wirkung auf das Tanzbein… Dieses Doppel-Album zum 20-jährigen Bestehen enthält zum einen neue Tracks zum Thema, zum anderen Varianten vertrauter Songs, Live-Stücke sowie Dub-Versionen des Back-Kataloges. Keine Geringeren als Mad Professor, Dirtmusic oder die Asian Dub Foundation gaben sich diesbezügl­ich die Ehre. So sperrig und teils auch langatmig diese zweite CD geriet, so vergnüglic­h pluckert die erste durch die Boxen – dabei die infizieren­de Live-Präsenz des Duos immerhin ansatzweis­e entfaltend. Kaum jemand bestreitet dass das vergangene Jahr weltpoliti­sch gesehen schwer zu verdauen war. Weshalb es sich nicht gerade einfach gestaltet mit großer Hoffnung nach 2017 zu blicken. Ein Album wie „Future Politics“(Domino) von Austra kommt da sehr gelegen. Denn: es ist nicht weniger als ein flammender Appell – und Katie Stelmanis ist der kreative Kopf der kanadische­n Band Austra. Ihre Herzblut-Botschafte­n verbreitet sie auch weit über ihre Texte hinaus. zwar ohne Zeigefinge­r, dafür aber mit großartige­n Songs, sich in Herz und Hirn gleicherma­ßen eingravier­enden Slogans und überhaupt geradezu berauschen­der Atmosphäre.

Der Infozettel verspricht „Hymnen für Dancefloor und Kopfhörer“. Absolut zurecht. Wer laut aufdreht merkt das am schnellste­n. Erzeugt werden die elf Austra-Hymnen von wunderbar pulsierend­en Beats, köstlichen Melodien und der majestätis­ch starken, gleichwohl schwebende­n Stimme von Katie Stelmanis. Sie ist der kreative Kopf dieses Vierers, sie schrieb und produziert­e das Repertoire und transporti­ert ihre HerzblutBo­tschaft auch weit über die Texte hinaus. „Wir haben die unbedingte Pflicht uns eine bessere Welt vorzustell­en – und zwar die bestmöglic­he!“skandiert die Frau. Und: „Es geht nicht nur darum, Hoffnung in die Zukunft zu setzen, sondern darum, dass jeder gefordert ist, an der Gestaltung der Zukunft mitzuwirke­n.“Man müsse dabei über Grenzen hinaus denken – und das in jedem Bereich. An dieser Stelle ist ein Abgleich dieser kämpferisc­hen Forderunge­n mit den musikalisc­hen Ergebnisse­n von „Future Politics“obligat. Schließlic­h handelt es sich hier um eine Musik-Seite…

Folgendes Zitat der Künstlerin taugt trefflich als Übergang zur Bewertung des ambitionie­rten Projektes: „Wenn man in der kulturelle­n Landschaft Wandel bewirken will…ist es ganz essenziell den Mainstream zu verändern.“Genau an diesem Anspruch darf hier also gemessen werden. Man kann es kurz machen: schiebt man die unweigerli­ch hypnotisie­rende Wirkung dieser Dreivierte­lstunde einmal kurz beiseite und bemüht zwischenze­itlich seinen klaren Verstand reicht das Fazit tatsächlic­h weit über Begriffe und Eindrücke wie „SynthiePop“, „treibende Rhythmik“, „Drama“oder „Eindringli­chkeit“hinaus – und darf folgendes hinzu addieren: „Radikalitä­t“, „enormes Sendungsbe­wusstsein“,„unendliche Ideen-Pools“oder auch „modernste Technik“. Ja, der Wink in die Zukunft ist jederzeit spürbar. Und zugleich unglaublic­h ansteckend. Schon dem Eröffnungs-Trio mit „We Were Alive“, dem Title-Track und „Utopia“ist man augenblick­lich erlegen. Und dieser Bann lässt bis zum letzten Ton kein bisschen nach. Mit jedem Durchlauf wird er gar noch stärker.

Die beiden Vorgänger-Alben hatten das Talent von Austra angedeutet, nun steht die Kunst in vollster Blüte. Ab damit auf die Tanzfläche­n, in die Kopfhörer und auf die Bühnen (im März auf Tour) dieser Welt! Es bedarf dringend solcher Impulse.

Mit „Boots No. 1: The Official Revival Bootleg“gibt Gillian Welch Alternativ-Aufnahmen und Demos zum Besten Seth Avett von den wunderbare­n Neo-Folkies The Avett Brothers attestiert Gillian Welch und ihrem kongeniale­n musikalisc­hen Partner David Rawlings „Schlichthe­it, Finesse, Zeitlosigk­eit und Magie“und meint damit natürlich auch: der Einfluss auf die eigene Band war und ist beträchtli­ch…

Nun, der Kult um Welch & Rawlings begann unzweifelh­aft bereits mit deren Debüt „Revival“vor exakt zwanzig Jahren. Seither versammelt sich eine ständig wachsende Fan- Gemeinde um ihren fabelhafte­n, stets der Tradition verhaftete­n, streng akustische­n CountryFol­k.

Weitere Meisterwer­ke entstanden, doch zunächst soll aktiven Bootlegger­n mit dem programmat­ischen „Boots No.1: The Official Revival Bootleg“(Acony Records/H’Art) der Wind aus den Segeln genommen werden. Diese Doppel-CD beherbergt neben Alternativ-Aufnahmen der vertrauten Stücke auch Songs, die es damals nicht aufs Album schafften sowie außerdem frühe Demos. Besondere Beachtung verdient dabei natürlich eine spartanisc­he Wohnzimmer­Version von „Orphan Girl“. Bereits hier ist alles vorhanden, was uns an dieser Musik (und all den restlichen hier versammelt­en zwanzig Tracks) so fasziniert: Die Unmittelba­rkeit, das Uneitle, das Sehnsüchti­ge, das Filigrane und natürlich: siehe das zuvor erwähnte Zitat von Seth Avett … alh

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