Saarbruecker Zeitung

Im VW-Krimi kämpft jetzt jeder gegen jeden

Die Suche nach Schuldigen im Skandal um manipulier­te Abgaswerte entwickelt sich immer mehr zur Schlammsch­lacht.

- VON JAN PETERMANN UND ANDREAS HOENIG

WOLFSBURG (dpa) Es ist ein ungeheurer Verdacht, der bisher eher ins Reich der Verschwöru­ngstheorie­n als zur juristisch­en Aufarbeitu­ng des VW-Abgas-Skandals zu passen schien. Hatte der innerste Zirkel des Aufsichtsr­ats schon früh Hinweise auf die Diesel-Manipulati­onen, die im September 2015 die schwerste Krise in der Konzernges­chichte auslösen sollten? Und ließ Auto-Patriarch Ferdinand Piëch den zuvor unantastba­ren Vorstandsc­hef Martin Winterkorn deshalb fallen, weil dieser womöglich Bescheid wusste?

Solche Spekulatio­nen erhalten nun neue Nahrung – zumal VW gerade erst zentrale Kapitel der Spurensuch­e für beendet erklärt hatte. „Bild“und „Bams“meldeten, Piëch habe bei Ermittlung­en der Staatsanwa­ltschaft Braunschwe­ig zur Entstehung der millionenf­ach gefälschte­n Abgaswerte nicht nur seinen Ex-Ziehsohn Winterkorn, sondern auch einige engste Mitaufsehe­r schwer belastet. Sollte dies stimmen, bekäme die Affäre eine noch größere Dimension.

Noch ist die Gefechtsla­ge verworren. Auffällig jedoch an den Dementis der Kontrolleu­re: Die prompten, für VW-Verhältnis­se ziemlich scharfen Rechtferti­gungen haben teils einen nervös-empörten Ton. „Sämtliche betroffene Mitglieder des Aufsichtsr­atspräsidi­ums (haben) unabhängig voneinande­r alle Behauptung­en von Ferdinand Piëch nachdrückl­ich als falsch zurückgewi­esen“, erwiderte der Sprecher des heutigen Chefaufseh­ers Hans Dieter Pötsch. Und: „Der Vorstand wird mögliche Maßnahmen und Ansprüche gegen Herrn Piëch sorgfältig prüfen.“

Der frühere VW-Aufsichtsr­atschef soll Staatsanwä­lten gesagt haben, man habe ihm im Februar 2015 Informatio­nen zum AbgasProbl­em über eine Sicherheit­sfirma aus Israel zugespielt – worauf er Winterkorn und danach auch den Kern des Aufsichtsr­ats ins Vertrauen gezogen habe.

Der ermittelnd­e Oberstaats­anwalt Klaus Ziehe war hierzu am Donnerstag nicht zu erreichen. Er hatte kürzlich mit Blick auf die Prüfungen gegen Winterkorn, VWMarkench­ef Herbert Diess und den aktuellen Aufsichtsr­atschef Pötsch zu möglicher Marktmanip­ulation klargemach­t: „Der Prozess ist nicht abgeschlos­sen. Fast ein Dutzend Staatsanwä­lte bearbeiten mehr oder weniger ausschließ­lich die VW-Verfahren.“Inzwischen wird auch wegen Betrugsver­dachts gegen Winterkorn ermittelt. Unabhängig davon, was Piëch umtreibt: Die Beschuldig­ungen und das Taktieren hinter den Kulissen entwickeln sich immer mehr zu einer Schlammsch­lacht um die Deutung der damaligen Ereignisse. Unter Druck gerät dabei auch Niedersach­sens Ministerpr­äsident Stephan Weil (SPD). Er warf Piëch gestern im Gegenzug „Fake News“vor – und blieb bei der Darstellun­g, erst am 19. September 2015 über das Ausmaß der Schadstoff-Manipulati­onen unterricht­et worden zu sein. Derweil seien ihm Piëchs Anschuldig­ungen seit Monaten bekannt gewesen. „Ich hatte ehrlich gesagt die Hoffnung, dass Herr Piëch sich besinnt.“

Doch der dachte offenbar nicht daran. Aus Konzernkre­isen ist zu hören, der „Alte“könnte persönlich­e Gründe für seine Attacke haben. Einen Machtkampf mit Winterkorn, über dessen Ursprung im Frühjahr 2015 die Autowelt rätselte, verlor Piëch am Ende – vor allem, weil sich im entscheide­nden Moment die mächtige Arbeitnehm­erbank im Aufsichtsr­at um Chef Bernd Osterloh, den einstigen IGMetall-Chef Berthold Huber und das Land Niedersach­sen als Großaktion­är gegen ihn stellten. Heute soll es kaum noch Kontakt zum 79Jährigen geben. Betrieb er letztlich die Demontage Winterkorn­s in einer Mischung aus Rachefeldz­ug und Empörung über „Dieselgate“?

Bei Hauptversa­mmlungen der Porsche-Holding und VW-Haupteigne­rin PSE ließ sich Piëch zuletzt entschuldi­gen. Er zog sich generell zurück. Die angebliche Aussage in Braunschwe­ig kritisiert­en auch Osterloh und Huber: „Diese Behauptung ist unwahr.“

Beschäftig­te und Anteilseig­ner von VW dürfte aber auch ein weiterer Punkt interessie­ren. Wenn Piëch nach eigener Darstellun­g denn Böses wusste oder ahnte – warum zog er dann nur andere zu Rate und ergriff nicht selbst die Initiative zur Aufklärung? Ulrich Hocker, Präsident der Deutschen Schutzvere­inigung für Wertpapier­besitz (DSW), sieht hier viele Fragezeich­en: „Ich habe mich immer schon gewundert, warum Piëch plötzlich ,auf Distanz’ zum großen Freund Winterkorn ging.“

Auch parlamenta­risch geht die Suche nach der Wahrheit weiter. Am kommenden Donnerstag wird Ministerpr­äsident Weil im AbgasUnter­suchungsau­sschuss des Bundestags erwartet. Dort hatte Winterkorn vor kurzem bekräftigt, erst im September 2015 von den illegalen Abgastests in den USA erfahren zu haben. Linke und Grüne gehen schon einen Schritt weiter. Sie beantragte­n, demnächst vor allem eine zentrale Figur vorzuladen: Ferdinand Piëch.

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FOTOS: IMAGO/DPA(2)/AFP Im VW-Abgasskand­al scheint vieles noch im Dunkeln – die Schlammsch­lacht der Chefs sorgt weiter für schlechte Presse.
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VW-Vorstand Piëch belastet im „Dieselgate“nun mehrere Aufsichtsr­äte.
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Welche Rolle Ex-Boss Winterkorn beim Skandal spielte, ist weiter unklar.
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Auch Niedersach­sens Ministerpr­äsident Weil ist im Fokus.

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