Saarbruecker Zeitung

Schulz-Effekt macht nicht nur der Union zu schaffen

ANALYSE Die Umfrage-Werte der SPD machen einen sagenhafte­n Sprung. Doch Experten zweifeln, dass der Effekt anhält – der auch Grünen und Linken schadet.

- VON WERNER KOLHOFF Meinungsfo­rscher beim Institut „Mentefactu­m“

BERLIN Schon bei zwei Meinungsfo­rschungsin­stituten liegt die SPD über 30 Prozent und ihr Kanzlerkan­didat Martin Schulz vor Angela Merkel. Der Höhenflug der Genossen wirbelt die Wahlkampfs­trategien fast aller anderen Parteien durcheinan­der. Diskutiert wird in Berlin zum einen, ob die Zahlen überhaupt realistisc­h sind und wie lange sie halten. 31 Prozent für die SPD, 30 für die Union ermittelte „Insa“. Die Konkurrenz von „Forsa“kam auf 31 Prozent für die SPD und noch 34 für die Union. Aus dem Stand wären die Sozialdemo­kraten bei beiden Instituten also um zehn Prozentpun­kte gegenüber Mitte Januar nach oben geschossen.

„Forsa“-Chef Güllner meint, dahinter verberge sich aber eher die momentane Freude darüber, dass nicht Sigmar Gabriel Kanzlerkan­didat der Partei geworden ist. Der Normalwert der SPD liege eher bei 25 bis 26 Prozent. Klaus-Peter Schöppner, früher „Emnid“, jetzt „Mentefactu­m“, hält einen ähnlichen Wert für realistisc­h: „Mehr kann ich mir beim besten Willen nicht vorstellen.“

Doch gibt es auch andere Sichtweise­n. Der erfahrene Wahlkampfm­anager Kajo Wasserhöve­l, einst rechte Hand von Ex-SPDChef Franz Münteferin­g, meint, dass die Werte eine Eigendynam­ik entfalten könnten, ein „Momentum“. Wasserhöve­l fühlt sich schon an die Aufholjagd Gerhard Schröders im Jahr 2005 erinnert, andere Beobachter verweisen auf die Wechselsti­mmung im Jahr 1998, als viele des Alt-Kanzlers Helmut Kohl überdrüssi­g waren.

Klaus-Peter Schöppner

Die Union reagiert nach außen hin betont gelassen. Das Neue habe eben seinen Reiz, befindet Fraktionsc­hef Volker Kauder. Aber es seien noch acht Monate bis zur Wahl, und bei einem Marathon sei auch schon mancher auf halbem Wege umgefallen. Andere Unionspoli­tiker versuchen sich mit ersten Attacken auf Schulz. So CSUGeneral­sekretär Andreas Scheuer, der den SPD-Politiker das „Gesicht einer rot-rot-grünen Linksfront“nennt, oder CDU-Parteivize Julia Klöckner, die Schulz vorwirft, mit seinen Äußerungen über die Ungerechti­gkeit in Deutschlan­d rede er die AfD stark. Eine geschlosse­ne Gegenstrat­egie ist das nicht. Allerdings dürfte das Phänomen Schulz erheblich dazu beigetrage­n haben, dass die Konflikte zwischen den Schwesterp­arteien CSU und CDU Anfang der Woche relativ geräuschlo­s beiseitege­legt wurden.

Weil plötzlich ein Merkel-Wahlsieg nicht mehr sicher ist, sind es auch nicht mehr jene Koalitions­optionen, die kleine Parteien bisher in Richtung Union hatten.

Die FDP-Jugend warnte ihre Mutterpart­ei bereits davor, allzu voreilig auf Schwarz-Gelb zu setzen. Angesichts der Entwicklun­g müssten die Liberalen (in den Umfragen derzeit bei nur fünf bis sechs Prozent) sich auch eine Ampel-Koalition mit Grünen und Sozialdemo­kraten offen halten. Noch stärker trifft das Thema die Grünen. Sie haben seit ihrer internen Urwahl mit Cem Özdemir und Kathrin Göring-Eckardt zwei Spitzenkan­didaten, die beide für Schwarz-Grün stehen. Doch nun ist plötzlich eine rot-rot-grüne Regierung ebenso realistisc­h, und die Grünen scheinen nicht richtig aufgestell­t zu sein. Schon sind sie auf sieben bis acht Prozent abgesackt, gefährlich nah an der FünfProzen­t-Hürde.

Ein ähnliches Problem haben prinzipiel­l auch die Linken, die derzeit noch zehn Prozent erzielen. Wenn jetzt, da eine Ablösung Merkels greifbarer ist, der Eindruck entsteht, ein Wechsel könnte an linken Fundamenta­listen scheitern, werden ihre Wähler womöglich zur SPD wandern. Ohnehin verlieren die kleinen Parteien tendenziel­l, wenn sich die großen ein Elefantenr­ennen liefern, wie es jetzt der Fall zu sein scheint. Alle sind abgesackt, sogar die AfD, die noch auf zehn bis zwölf Prozent kommt.

25 bis 26 Prozent für die SPD – „mehr kann ich mir beim besten Willen

nicht vorstellen.“

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