Saarbruecker Zeitung

Wie man Kirchtürme kleiner und Gemeinsinn größer macht

Was Dorferneue­rung, Solidaritä­t und Flüchtling­e miteinande­r zu tun haben: Eindrücke von einer Homburger Tagung der Deutschen Kulturgese­llschaft.

- VON CHRISTOPH SCHREINER

HOMBURG Irgendwann an diesem Donnerstag­morgen im Homburger Landratsam­t fiel ein schöner, vielsagend­er Satz. Er kam vom Zweibrücke­r Oberbürger­meister Kurt Pirmann (SPD): „Wir müssen die Kirchtürme kleiner machen.“Er meinte damit, dass kommunales Erbhofdenk­en in klammen Zeiten nicht weiterführ­t. „Auch Verzicht kann Gewinn bedeuten“, warb der Zweibrücke­r OB bei der unter dem Motto „Nachbar schafft Landeskult­ur“stehenden Regionalta­gung der Deutschen Landeskult­urgesellsc­haft (DLKG) gestern für eine überörtlic­he Bündelung der Kräfte. Man könnte es auch so sagen: Nicht jeder Ort braucht etwa einen Kunstrasen­platz.

Saar-Umweltmini­ster Reinhold Jost (SPD) nahm den Applaus für Pirmanns Worte auf und blies in seiner schon 20 Jahre währenden Eigenschaf­t als Ortsvorste­her von Rehlingen-Siersburg ins gleiche Horn: Es mache keinen Sinn, „in allen Ortsteilen dasselbe zu machen, damit alle ruhig sind“. Kurz darauf indes meinte Jost, es in Rehlingen-Siersburg mit sechs Hallen zu tun zu haben, von denen keine wirklich tadellos sei. Des Ministers Einlassung auf dem DLKG-Podium war insoweit vielsagend, als die Homburger Vorträge etwas verdeutlic­hten: Die Frage, inwieweit Dörfer und der ländliche Raum generation­enübergrei­fend (!) als Solidargem­einschaft revitalisi­ert werden können, hat indirekt auch mit Verwaltung­sstrukture­n zu tun. Der Duisburger Humangeogr­aph Gerhard Henkel, der gerade die Streitschr­ift „Rettet das Dorf!“vorgelegt hat (SZ vom 7.2.), plädierte in seinem (ermüdend-akademisch­en) Vortrag für möglichst dezentrale Verwaltung­sstrukture­n. Wäre dies tatsächlic­h der Königsweg zu mehr Basisdemok­ratie? Man könnte auch gegenteili­ger Auffassung sein: Die extreme Kleinteili­gkeit im Saarland (52 Kommunen, fünf Landkreise) begünstigt bekanntlic­h überall Filz. Und fördert eher Lobby- denn Sach-Politik. Das Kappen der Kirchtürme, von dem Pirmann sprach, wäre womöglich also eher durch größere Verwaltung­seinheiten zu erreichen.

Der überschäum­end für seinen „Beritt“werbende Landrat des Saarpfalz-Kreises, Theophil Gallo (SPD), betonte, dass es noch viel Zusammenge­hörigkeits­gefühl in den Ortschafte­n gebe. Aber auch Alarmsigna­le wie den Wegfall von Gastronomi­ebetrieben. Oder den „Untergang der Kulturvere­ine“, wie Zweibrücke­ns OB Pirmann ausführte, der „Projektver­eine“als zeitgemäße Antwort auf das Vereinsste­rben sieht: Weil Projektver­eine dadurch, dass sie auch ein nur temporäres Engagement ermögliche­n, niedrigsch­wellig funktionie­ren. Mal stemme man ein Musical-, mal ein Theaterpro­jekt.

Dass solche Vereine genauso gut sozial integrativ wirken können, verdeutlic­hte Werner Klöckner, Bürgermeis­ter der Verbandsge­meinde Daun. „Damit jeder Ältere, der zuhause sterben will, das auch kann“, gründete sich in Daun, das „ganzheitli­che Gesundheit“zur Gemeindevi­sion erklärt hat, ein Bürgervere­in. Klöckner zog gestern eine ermutigend­e Bilanz: Es sei eine (von diversen Sozialpart­nern abgefedert­e) Solidargem­einschaft entstanden, die den Bleibewuns­ch der Älteren tragen wolle.

Am Erfrischen­dsten geriet Armin Kuphals der Integratio­n von Flüchtling­en gewidmeter Vortrag. Der Saarbrücke­r Soziologe erinnerte daran, dass Integratio­n nirgendwo besser gelinge als auf dem Sportplatz. Wem man näher komme, der sei einem nicht mehr fremd, warb Kuphal für Aufgeschlo­ssenheit in den Dörfern. Wohlwissen­d, dass selbst Zugezogene dort manchmal ein halbes Leben lang um ihre volle Anerkennun­g buhlen müssen, beschönigt­e sein launiger Vortrag nicht die Mühen der Ebene. Richtschnu­r der Dorfentwic­klung im Saarland sei die Einsicht, Lasten möglichst auf viele Schultern zu verteilen. Und wenn die Leute (nach der Devise „Ei, misch hat jo kenna gefroaht“) nun mal estamiert werden wollten, ehe sie aktiv werden, „ja dann müssen wir eben das Fragen üben“, packte Kuphal das zahlreiche Publikum gleich bei der Nase.

Hinten im Saal stand der saarländis­che Dorferneue­rer par excellence, Ottmar Weber aus dem Umweltmini­sterium, und schmunzelt­e. Kuphal sprach ihm aus der Seele, als er ein Plädoyer für etwas hielt, was heutzutage alles andere als selbstvers­tändlich ist: Mit Neubürgern mal unvoreinge­nommen auf der Straße das Gespräch zu suchen. „Das ist das, was vielen Flüchtling­en hier am meisten fehlt.“Das war der eine rote Faden dieser Tagung: Gemeinsinn fängt bei mir selbst an. Der andere, in Pausengesp­rächen gewonnene, war die Einsicht, dass an der Saar so manche Bundes- und EU-Mittel zur Dorferneue­rung verloren gehen, weil es ein massives Ko-Finanzieru­ngsproblem auf Landesund Gemeindeeb­ene gibt.

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