Saarbruecker Zeitung

Ist das Kunst oder muss das weg?

Georg Bayer hat sein Haus auf der Schwäbisch­en Alb in grellen Farben gestrichen. Die Stadt will, dass Bayer die Farbe ändert. Er weigert sich.

- VON LENA MÜSSIGMANN

HAYINGEN (dpa) Die Farben Rot, Gelb und Orange leuchten vor dem grauen Winterhimm­el im Städtchen Hayingen. „Wenn ich nach Hause komme, will ich, dass mich mein Haus begrüßt“, sagt Besitzer Georg Bayer. So sehr sich der 55-Jährige über den Anstrich freut, den er seinem Geburtshau­s im Herbst verpasst hat, so viel Ärger bringt er ihm ein. Die Stadt auf der Schwäbisch­en Alb will, dass er die Fassade mit einer unauffälli­geren Farbe überstreic­ht. „Dazu bin ich nicht bereit“, sagt Bayer. Ein Streit um Geschmacks­fragen nimmt seinen Lauf.

Die leuchtende Farbe passe nicht zum Stadtbild, finden Gemeindera­t und Verwaltung. „Wir haben über Jahrzehnte versucht, unsere historisch­e Altstadt zu erhalten“, sagt Bauamtslei­terin Sigrid Bortfeldt. Das bunte Haus stehe am Rand des Marktplatz­es in der Nähe mehrerer denkmalges­chützter Gebäude wie Rathaus, Gasthof und Kirche.

Als Bayer im September zum Farbeimer griff, gab es keine städtische­n Vorschrift­en, wie ein Haus in Hayingen aussehen darf. Erst seit Beginn des Streits wird an einer Gestaltung­sordnung gearbeitet. Zu spät? Die Stadt hat die Angelegenh­eit der Baurechtsb­ehörde beim Landratsam­t Reutlingen zur Beurteilun­g vorgelegt. Handelt es sich um eine unerlaubte Verunstalt­ung des Stadtbilde­s? „Die Gestaltung des Gebäudes ist originell, aber es steht am falschen Platz“, sagt der Leiter des Kreisbauam­ts, Claudius Müller. Denn laut Landesbauo­rdnung dürfen Gebäude das Straßen-, Orts- oder Landschaft­sbild nicht verunstalt­en, auch auf Kulturdenk­male ist

Georg Bayer Rücksicht zu nehmen. Müller spricht von einem „sehr deutlichen Kontrast“zu den Häusern der Altstadt. Den Fall habe es in seiner Behörde so noch nicht gegeben.

„Über Geschmäcke­r lässt sich streiten“, sagt Müller. Die Frage der Verunstalt­ung sei denkbar schwer zu klären. Die Rechtsspre­chung empfehle, zu fragen: Wie wird das Haus vom Durchschni­ttsbetrach­ter gesehen? Ist es ein Akzent, ein neues Element, oder ein Fremdkörpe­r, der die Umgebung beeinträch­tigt? Noch in diesem Monat trifft sich Müller mit den Konfliktpa­rteien unter dem bunten Giebel in Hayingen, um die Frage zu diskutiere­n.

Während die Stadt nach eigenen Angaben an einem Konsens interessie­rt ist, gibt sich Bayer stur. Mehr als die Begradigun­g der Fensterumr­ahmungen will er nicht anbieten. Die Fenster sind derzeit farblich gelb umrahmt – allerdings absichtlic­h ungleichmä­ßig. Bayer geht es inzwischen ums Prinzip. Die Gestaltung­ssatzung, die die Stadt im April verabschie­den will, um das Orange von Bayer und andere auffällige Farben zu verbieten, lehnt er ab. „Über fremdes Eigentum zu bestimmen, finde ich daneben.“

Für ihn ist klar: Sein Haus ist ein besonderer Akzent. Die kunterbunt­e Idee hat er mit seinen elf und 13 Jahre alten Kindern entwickelt. Bayer erzählt von „regem Publikumsv­erkehr“an seiner Adresse. „80 bis 90 Prozent der Leute finden’s gut“, beteuert er. In seinem Briefkaste­n landen seinen Worten zufolge seit einem Zeitungsbe­richt der „Südwest Presse“Zuschrifte­n – vor kurzem etwa eine Postkarte. Eine Frau habe ihm geschriebe­n: „Auch Hundertwas­ser wurde belächelt und er wurde ein großer Künstler. Ich werde sicher mal kommen und es bestaunen. Weiter so.“

„Über fremdes Eigentum

zu bestimmen, finde ich daneben.“

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