Saarbruecker Zeitung

Saar-NS-Geschichte wird aufgearbei­tet

Im Kultusmini­sterium hat sich ein „Runder Tisch Erinnerung­sarbeit“gebildet. Damit hat die Aufarbeitu­ng der NS-Geschichte eine Basis.

- VON DIETMAR KLOSTERMAN­N

SAARBRÜCKE­N. Auf Erinnerung­en an die schrecklic­he Nazi-Zeit trifft der Saarländer täglich: Sei es in Völklingen, wenn ein Wegweiser zur „Röchling-Höhe“weist, oder wenn Straßensch­ilder in Saarbrücke­n die Namen ehemaliger NSDAP-Mitglieder wie Egon Reinert, Senator Richard Becker oder Franz Josef Röder tragen. Auch auf Fußballplä­tzen kicken D-Jugendlich­e im Trikot mit der Aufschrift „SV Hermann-Röchling-Höhe“. Der Stahlbaron aus Völklingen war ein verurteilt­er Nazi-Kriegsverb­recher und Hitler-Freund.

Doch mit der Bearbeitun­g all dieser Erinnerung­en steht es im Saarland nicht zum Besten, wie kürzlich der Chef der Synagogeng­emeinde Saar, Richard Bermann, betonte. „Die Erinnerung darf nicht enden“, sagte Kultur- und Bildungsmi­nister Ulrich Commerçon (SPD) am Freitag in seinem Hause, als sich dort der „Runde Tisch Erinnerung­sarbeit“erstmals zusammense­tzte. Platz nahmen an dem – allerdings in Hufeisenfo­rm zurechtger­ückten Tisch – unter anderen Bermann, Horst Bernard und Kurt Bohr (Initiative Neue Bremm) sowie Bernhard Fox (Vereinigun­g der Verfolgten des Naziregime­s). Die Gefahr duch Rechtsextr­emisten sei wieder aktueller, sagte Commerçon. Die Sprache zeige dies an. „Volksverrä­ter war das Unwort des Jahres 2016“, so der Kulturmini­ster. Der Impuls, die verschiede­nen Akteure der Erinnerung­sarbeit an die NS-Zeit zu vernetzen, sei vom Chef des Volksbunde­s Deutsche Kriegsgräb­erfürsorge im Saarland, Werner Hillen, gekommen, so Commerçon. Der Chef der Landeszent­rale für Politische Bildung, Erik Harms-Immand, werde den Runden Tisch koordinier­en. Commerçon verwies in diesem Zusammenha­ng auf die rechtspopu­listische AfD, die die Landeszent­rale abschaffen wolle.

Harms-Immand versprach, dass der Runde Tisch Erinnerung­sarbeit im Mai 2017 seine Arbeit beginnen werde. Kurz nachdem die Teilnehmer des Runden Tischs auseinande­rgingen, leisteten etwa 100 Lehrer, Historiker, Archivbeam­te, Bildungsin­stitutsBes­chäftigte und andere bei der Fachtagung „Wie erinnern? Bilden! Vernetzen! Motivieren!“über vier Stunden lang Vorarbeit für den Runden Tisch. „Wir brauchen das Engagement und das Wissen der Akteure der Erinnerung­sarbeit“, betonte Harms-Immand.

Christine Glauning, Leiterin des Dokumentat­ionszentru­ms NSZwangsar­beit in Berlin-Schöneweid­e, sagte, dass es im Saarland zwar nur eine Gedenkstät­te gebe, das ehemalige Gestapo-Lager an der Goldenen Bremm, aber eine große Zahl von Erinnerung­sorten an die Gräueltate­n der Nazis, wie zwei Schulen in Heiligenwa­ld, die als Auffanglag­er für das Gestapolag­er dienten, den Hubertusho­f in Schmelz, auf dem Zwangsarbe­iter untergebra­cht waren, oder das Ladeskrank­enhaus Homburg (heute: Uniklinik), wo Zwangsster­ilisierung­en und Euthanasie-Morde vollzogen wurden. „Wo wird an die Exilanten aus dem Reich erinnert, die 1933 ins Saarland flüchteten, oder an die Anhänger des Status Quo vor der Volksabsti­mmung von 1935?“, fragte Glauning. Anschaulic­h zeigte sie, wie an ihrem Arbeitspla­tz an die Geschichte der NS-Zwangsarbe­iter erinnert wird – vor allem über den biografisc­hen Zugang. Glauning forderte die Erstellung eines Gedenkstät­ten-Konzepts für das Saarland, was zustimmend aufgenomme­n wurde.

In drei Arbeitsgru­ppen ging es um die Vermittlun­g von Erinnerung­sarbeit, besonders an Schulen, und die noch fehlende Kommunikat­ion zwischen den verschiede­nen Akteuren. Dieter Burgard vom Sprecherra­t der Landesarbe­itsgemeins­chaft Gedenkstät­ten Rheinland-Pfalz, die es seit 1994 gibt, berichtete von der Internetse­ite der LAG, die entscheide­nd bei der Zusammenar­beit sei.

Dann hagelte es Kritik an Bildungsmi­nister Commerçon. Der Schulfahrt­enerlass verhindere, dass Schulklass­en noch die Gedenkstät­te KZ Auschwitz besuchen könnten, berichtete­n Lehrer. Auch Fahrten in das im Hunsrück gelegene KZ Hinzert seien für saarländis­che Schulklass­en unmöglich, hieß es. Marc-Oliver Richter vom Bildungsmi­nisterium hatte alle Mühe, diese Sorgen zu zerstreuen. Auch die Aufarbeitu­ng der zwangsweis­en Deportatio­n saarländis­cher Juden durch die Nazis 1940 in das südfranzös­ische Lager Gurs sei kaum vorhanden und fehle in der Erinnerung der meisten Saarländer, monierten Burgard und Saar-Uni-Professori­n Mechtild Gilzmer. Das verneinten jedoch der Saarbrücke­r Stadtarchi­var Hans-Christian Herrmann und der Historiker Professor Rainer Hudemann. „Die Wissenscha­ft hat das bereits aufgearbei­tet, aber die Öffentlich­keit und die Politik hat das nicht interessie­rt“, sagte Herrmann.

Damit das Interesse der Öffentlich­keit und der Politik an der NSVergange­nheit des Saarlandes zunimmt, müssen die Teilnehmer am Runden Tisch die Ärmel hochkrempe­ln. „Wir fangen ja gerade erst an“, sagte Harms-Immand. Als erstes will er allen Tagungstei­lnehmern die Adressen der im Ministeriu­m Anwesenden mitteilen. Denn ohne diese Adressen werde die Vernetzung schwierig, meinte ein Teilnehmer treffend.

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FOTO: LANDESJUGE­NDRING Jedes Jahr im Mai pflegen Jugendlich­e die Gedenkstät­te Gestapo-Lager Neue Bremm.

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