Wieder Feuer in Frankreichs Vorstädten
Nach der mutmaßlichen Vergewaltigung eines jungen Schwarzen durch einen Polizisten brennen in der Banlieue die Autos – nicht zum ersten Mal.
PARIS. „Der Stock der Schande“titelte die Zeitung „Libération“vergangene Woche. Gemeint war der Schlagstock, den ein Polizist Anfang Februar einem jungen Schwarzen bei einer Festnahme in der Pariser Vorstadt Aulnay-sousBois in den Hintern gerammt haben soll. Seit Tagen gehen deshalb in den Banlieue Demonstranten gegen die Polizei auf die Straße. Die Bilder aus Bobigny oder Argenteuil, wo Autos und Bushaltestellen in Brand gesteckt werden, erinnern an die Vorstadtunruhen im Herbst 2005. Damals war der Auslöser ebenfalls die Jagd von Polizisten auf zwei schwarze Jugendliche, die sich in Clichy-sousBois in ein Transformatorenhäuschen flüchteten und dort durch einen Stromschlag ums Leben kamen. Seit damals scheint sich nicht geändert zu haben in den berüchtigten Banlieues, jenen seelenlosen Vororten der Großstädte, wo hauptsächlich die Nachkommen der Einwanderer leben und die Arbeitslosigkeit deutlich höher ist als im Landesdurchschnitt. „Wenn man wie in Clichy-sous-Bois vor 30 Jahren auf einem Rübenfeld tausende Wohnungen baut, die von Paris abgeschnitten sind, dann schafft man damit Spannungen“, sagte der frühere sozialistische Innenminister Pierre Joxe.
Die Spannungen entladen sich bei den häufigen Polizeikontrollen, denen vor allem die jungen Männer in den Vorstädten unterzogen werden. So wie am 2. Februar, als vier Polizisten von Théo, der gerade sein Haus verließ, den Ausweis verlangten. Als der 22-Jährige gegen seine wiederholte Kontrolle protestierte, misshandelte ihn einer der Beamten, wie Théo hinterher berichtete. „Er hat seinen Stock genommen und ihn mir bewusst in den Hintern gestoßen.“Danach habe sein Peiniger ihn aufgefordert, sich hinzusetzen. Als der junge Mann wegen der schweren Verletzung dazu nicht in der Lage gewesen sei, hätten die Polizisten ihn mit Tränengas besprüht, bespuckt und geschlagen. Im Polizeiwagen sei er rassistischen Beschimpfungen wie „Bimbo“und „Drecksack“ausgesetzt gewesen. Die Justiz muss nun klären, was genau die Polizisten mit Théo machten, der mit einer zehn Zentimeter langen Wunde am Anus im Krankenhaus liegt und 60 Tage krank geschrieben ist. Alle vier Polizisten wurden vom Dienst suspendiert. Gegen sie wird wegen Körperverletzung, gegen den mutmaßlichen Haupttäter auch wegen Vergewaltigung, ermittelt.
Rassistisch motivierte Polizeiwillkür in den Banlieues ist nichts Neues. Zuletzt hatte der Menschenrechtsbeauftragte Jacques Toubon auf die Ungleichbehandlung hingewiesen, der vor allem junge Schwarze und Araber ausgesetzt sind. So wurden in einer Gruppe von 5000 Befragten rund 80 Prozent der jungen Araber und Schwarzen in den vergangenen fünf Jahren von der Polizei kontrolliert, aber nur 16 Prozent der Restbevölkerung. 20 Prozent der Schwarzen und Araber beklagten sich über Brutalität und Beschimpfungen gegenüber acht Prozent der restlichen Befragten.
Zwei Monate vor den Präsidentschaftswahlen sind die Vergewaltigungsvorwürfe nun zum Wahlkampfthema geworden, das vor allem der rechtspopulistische Front National ausschlachtet. „Ich unterstütze aus Prinzip die Polizei, bis die Justiz ihr ein Delikt nachgewiesen hat,“sagte FNKandidatin Marine Le Pen, für die 57 Prozent der Polizisten bei der nächsten Wahl stimmen wollen. Präsident François Hollande besuchte dagegen Théo im Krankenhaus und lobte die Besonnenheit des jungen Mannes, der sich bisher nichts zuschulden kommen ließ. Vom Krankenbett aus versuchte Théo, die Gemüter zu beruhigen: „Gewalt ist nicht die richtige Art, mich zu unterstützen.“
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