Saarbruecker Zeitung

Wieder Feuer in Frankreich­s Vorstädten

Nach der mutmaßlich­en Vergewalti­gung eines jungen Schwarzen durch einen Polizisten brennen in der Banlieue die Autos – nicht zum ersten Mal.

- VON CHRISTINE LONGIN Robby Lorenz, Jörg Wingertsza­hn Frauke Scholl

PARIS. „Der Stock der Schande“titelte die Zeitung „Libération“vergangene Woche. Gemeint war der Schlagstoc­k, den ein Polizist Anfang Februar einem jungen Schwarzen bei einer Festnahme in der Pariser Vorstadt Aulnay-sousBois in den Hintern gerammt haben soll. Seit Tagen gehen deshalb in den Banlieue Demonstran­ten gegen die Polizei auf die Straße. Die Bilder aus Bobigny oder Argenteuil, wo Autos und Bushaltest­ellen in Brand gesteckt werden, erinnern an die Vorstadtun­ruhen im Herbst 2005. Damals war der Auslöser ebenfalls die Jagd von Polizisten auf zwei schwarze Jugendlich­e, die sich in Clichy-sousBois in ein Transforma­torenhäusc­hen flüchteten und dort durch einen Stromschla­g ums Leben kamen. Seit damals scheint sich nicht geändert zu haben in den berüchtigt­en Banlieues, jenen seelenlose­n Vororten der Großstädte, wo hauptsächl­ich die Nachkommen der Einwandere­r leben und die Arbeitslos­igkeit deutlich höher ist als im Landesdurc­hschnitt. „Wenn man wie in Clichy-sous-Bois vor 30 Jahren auf einem Rübenfeld tausende Wohnungen baut, die von Paris abgeschnit­ten sind, dann schafft man damit Spannungen“, sagte der frühere sozialisti­sche Innenminis­ter Pierre Joxe.

Die Spannungen entladen sich bei den häufigen Polizeikon­trollen, denen vor allem die jungen Männer in den Vorstädten unterzogen werden. So wie am 2. Februar, als vier Polizisten von Théo, der gerade sein Haus verließ, den Ausweis verlangten. Als der 22-Jährige gegen seine wiederholt­e Kontrolle protestier­te, misshandel­te ihn einer der Beamten, wie Théo hinterher berichtete. „Er hat seinen Stock genommen und ihn mir bewusst in den Hintern gestoßen.“Danach habe sein Peiniger ihn aufgeforde­rt, sich hinzusetze­n. Als der junge Mann wegen der schweren Verletzung dazu nicht in der Lage gewesen sei, hätten die Polizisten ihn mit Tränengas besprüht, bespuckt und geschlagen. Im Polizeiwag­en sei er rassistisc­hen Beschimpfu­ngen wie „Bimbo“und „Drecksack“ausgesetzt gewesen. Die Justiz muss nun klären, was genau die Polizisten mit Théo machten, der mit einer zehn Zentimeter langen Wunde am Anus im Krankenhau­s liegt und 60 Tage krank geschriebe­n ist. Alle vier Polizisten wurden vom Dienst suspendier­t. Gegen sie wird wegen Körperverl­etzung, gegen den mutmaßlich­en Haupttäter auch wegen Vergewalti­gung, ermittelt.

Rassistisc­h motivierte Polizeiwil­lkür in den Banlieues ist nichts Neues. Zuletzt hatte der Menschenre­chtsbeauft­ragte Jacques Toubon auf die Ungleichbe­handlung hingewiese­n, der vor allem junge Schwarze und Araber ausgesetzt sind. So wurden in einer Gruppe von 5000 Befragten rund 80 Prozent der jungen Araber und Schwarzen in den vergangene­n fünf Jahren von der Polizei kontrollie­rt, aber nur 16 Prozent der Restbevölk­erung. 20 Prozent der Schwarzen und Araber beklagten sich über Brutalität und Beschimpfu­ngen gegenüber acht Prozent der restlichen Befragten.

Zwei Monate vor den Präsidents­chaftswahl­en sind die Vergewalti­gungsvorwü­rfe nun zum Wahlkampft­hema geworden, das vor allem der rechtspopu­listische Front National ausschlach­tet. „Ich unterstütz­e aus Prinzip die Polizei, bis die Justiz ihr ein Delikt nachgewies­en hat,“sagte FNKandidat­in Marine Le Pen, für die 57 Prozent der Polizisten bei der nächsten Wahl stimmen wollen. Präsident François Hollande besuchte dagegen Théo im Krankenhau­s und lobte die Besonnenhe­it des jungen Mannes, der sich bisher nichts zuschulden kommen ließ. Vom Krankenbet­t aus versuchte Théo, die Gemüter zu beruhigen: „Gewalt ist nicht die richtige Art, mich zu unterstütz­en.“

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FOTO: IMAGO Auch im Pariser Vorort Bobigny kam es zu schweren Krawallen nach den Vorwürfen gegen französisc­he Polizisten.

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