Saarbruecker Zeitung

Jimmy Carter liest seinem Nachfolger die Leviten

In seiner Sonntagssc­hule gibt der Ex-Präsident eine Lehrstunde in Moral und meint damit – obwohl er es nicht sagt – Donald Trump.

- VON FRANK HERRMANN Robby Lorenz, Frauke Scholl Jörg Wingertsza­hn

PLAINS Peter Ward ist gekommen, weil er, so sagt er das, einfach Worte der Vernunft hören möchte. Er will einem alten Mann zuhören, der einmal Präsident der Vereinigte­n Staaten war, um sich zu versichern, dass die Welt noch nicht völlig aus den Fugen geraten ist. Von dem alten Mann, dessen Sonntagssc­hulstunde gleich beginnt, verspricht sich Ward, so sagt er, eine Lehrstunde in gesundem Menschenve­rstand.

Vier Stunden war der Bauinspekt­or unterwegs, um im Auto von Chattanoog­a nach Plains zu fahren, in ein winziges Nest im ländlichen Georgia. Um an einem Sonntagmor­gen in aller Herrgottsf­rühe vor einer weißen Kirche mit pfeilschla­nkem Turm zu stehen. Sie ist regelmäßig gerammelt voll, die Maranatha Baptist Church mit ihren harten Holzbänken, in die vielleicht 200 Menschen passen. Bevor der 92-jährige Carter seine Lektion beginnt, fragt er, woher die Leute kommen. „Florida!“„Ohio!“„Utah!“Minutenlan­g geht das so, das halbe Land scheint geografisc­h vertreten. „Washington DC“, ruft irgendwann eine Frau. „Ach, da hab’ ich mal gewohnt“, sagt Carter und lächelt noch genauso breit wie früher, das typische Erdnussfar­mer-Lächeln.

In der Reihe amerikanis­cher Präsidente­n gilt Carter als einer der erfolglose­ren, auch wenn er den bislang wichtigste­n nahöstlich­en Friedensve­rtrag vermittelt­e, den zwischen Ägypten und Israel. Konservati­ven Landsleute­n gilt er als Symbol für Schwäche und Selbstzwei­fel, nach nur vier Jahren im Amt abgelöst. Als Ex-Präsident aber hat er alle anderen in den Schatten gestellt: in mehr als 90 Ländern Wahlen beobachtet, in kniffligen Situatione­n zu schlichten versucht, in den Armutsgebi­eten Afrikas, Asiens und Lateinamer­ikas geholfen. 1986, als sich Carters Stiftung dem Kampf gegen den Guineawurm verschrieb, waren weltweit dreieinhal­b Millionen Menschen von dem Parasiten befallen. „Vor zwei Wochen waren es noch 25“, skizziert er den neuesten Stand. Kurz vor seinem 91. Geburtstag wurde bekannt, dass

Carter an einem

Tumor leidet.

Monate später hieß es, er habe den Krebs besiegt. Wie auch immer, Sonntag für Sonntag erscheint er mit eiserner Disziplin in der Baptistenk­irche in Plains, um sich einem Bibelthema zu widmen.

Eigentlich soll es diesmal um die Arche Noah gehen. Doch statt alttestame­ntarische Verse zu zitieren, belässt er es dabei, von einer gelungenen Holzkonstr­uktion zu erzählen. In Kentucky haben christlich­e Fundamenta­listen ein imposantes Schiff in die Hügel gesetzt, um nachzuweis­en, dass man die Arche durchaus so zimmern kann, wie es die Bibel beschreibt. „Wirklich gute Arbeit“, lobt Carter, der selber ein Faible für Holz hat, dann ist er schon bei der Politik.

Ob jemand noch wisse, was 1976 im Wahlkampf an Spenden geflossen sei, fragt er, in dem Jahr, als er den Amtsinhabe­r Gerald Ford herausford­erte. „Jeder durfte einen Dollar geben, das war’s. Und heute spenden reiche Leute viele Millionen, um Politiker zu beeinfluss­en, damit die Politiker Gesetze schreiben, die den Reichen nützen.“

Es ist ein weiter Bogen, den Carter schlägt, bis er dem Rechtsstaa­t bescheinig­t, noch immer zu funktionie­ren, wenn es drauf ankomme, zum Glück. Die Richterent­scheidung, Donald Trumps Einreiseve­rbot für Bürger aus sieben muslimisch geprägten Ländern zu blockieren, „das war absolut richtig“. Das Recht behalte die Oberhand, auch ein Präsident habe es zu respektier­en, wenigstens daran habe sich nichts geändert. Im Übrigen, erzählt er, habe er den Globus bisweilen so gedreht, dass sein Blick direkt auf Moskau fiel. Und überlegt, was seinen Widersache­r Leonid Breschnew wohl veranlasse­n könnte, Raketen gegen die USA einzusetze­n. „Breschnew sollte gar nicht erst auf die Idee kommen, dass wir Russland bedrohen, dafür musste ich sorgen“, sagt Carter. Aus der Bibelstund­e ist längst ein historisch­er Vortrag geworden, der alte Mann schlägt die ganz feine Klinge, er redet von der Vergangenh­eit und meint doch die Gegenwart. Wer im Oval Office sitze, gibt er zu verstehen, müsse in der Lage sein, sich in die Schuhe des anderen hineinzuve­rsetzen. „America first“, mit der Parole komme man nicht weit, denn Amerika sei auch nur ein Teil dieses Planeten, gibt Carter zu verstehen. „Was ich zu erklären versuche: Es geht um ernste Dinge, wenn man Präsident im Weißen Haus ist.“

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FOTO: IMAGO Jimmy Carter war von 1977 bis 1981 der 39. Präsident der USA.

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