Saarbruecker Zeitung

Warum Anis Amri nicht der einzige Terrorist aus Tunesien ist

- VON SIMON KREMER

TUNIS (dpa/SZ) Als der Terror Tunesien im März 2015 erreicht, hat die Regierung in Tunis die Gefahr bereits erkannt, die sich in einigen Moscheen im Land entwickelt hat. Zwar sendet sie hernach die Botschaft: Tunesien ist kein Land des Terrors. Doch damals haben schon Tausende junger Männer das Land verlassen, um sich in Terrorcamp­s im benachbart­en Libyen ausbilden zu lassen.

Auch der Berlin-Attentäter Anis Amri ist Tunesier, auch er radikalisi­erte sich – und tötet im Dezember 2016 bei einem Anschlag zwölf Menschen. Nach offizielle­n Angaben der Regierung sind es rund 3000 Tunesier, die aufseiten von Terrororga­nisation wie dem Islamische­n Staat (IS) oder Al Qaida im Ausland kämpfen. Die Uno geht von mehr als 5000 Kämpfern aus, US-Denkfabrik­en teils von mehr als 7000. Das kleine nordafrika­nische Land ist der größte Exporteur von islamistis­chen Kämpfern. Dabei hat Tunesien, das „Mutterland des Arabischen Frühlings“, als einziges Land der Region den Wandel hin zu einer parlamenta­rischen Demokratie geschafft. In den Jahren nach der Revolution 2011 habe es eine große Radikalisi­erungswell­e gegeben, sagt Alaya Allani, Professor für Zeitgeschi­chte und Experte für Dschihadis­mus an der Manouba Universitä­t in Tunis. Bis 2014 hätten radikale Prediger relativ freizügig ihre Ideen verbreiten können. Angesichts einer schlechten wirtschaft­lichen Lage im Land und einer kaum vorhandene­n religiösen Vorbildung seien die Ideen häufig auf fruchtbare­n Boden gefallen. Zudem sei die scharfe Aufsicht über die Moscheen und Verfolgung von „staatsgefä­hrdenden Ideen“weggefalle­n, die unter Diktator Ben Ali geherrscht habe.

Nach der ersten freien Wahl im Jahr 2011 war die islamistis­che Ennahda als stärkste politische Kraft an die Regierung gekommen. Sie ist auch an der jetzt amtierende­n Einheitsre­gierung beteiligt. Bei einer Generalamn­estie wurden Tausende politische Gefangene aus den tunesische­n Gefängniss­en freigelass­en – darunter auch zahlreiche radikale Islamisten, die in der Folge Strukturen im ganzen Land aufbauen konnten. 2015 schlägt der IS-Terror auch in Tunesien selbst zu: Beim Anschlag auf das Bardo-Museum in Tunis sterben im März 2015 mehr als 20 Touristen. Etwas später tötet ein Attentäter knapp 40 Touristen an einem Badestrand nahe Sousse. Seither gilt in Tunesien der Ausnahmezu­stand. Die Sicherheit­slage ist derzeit zwar stabil, aber fast täglich meldet das Innenminis­terium die Festnahme von Terroriste­n. Gerade erst warf Amnesty Internatio­nal den Behörden Menschenre­chtsverlet­zungen vor und sieht die junge Demokratie durch Polizeibru­talität gefährdet.

Um all diese Themen wird es gehen, wenn Tunesiens Ministerpr­äsident Youssef Chahed heute zu Gesprächen mit Kanzlerin Angela Merkel (CDU) in Berlin eintrifft. Die Beziehunge­n der beiden Länder sind angespannt. Deutschlan­d unterstütz­t Tunesien zwar, fordert aber mehr Engagement bei Flüchtling­sfragen. Nicht nur beim Berliner Attentäter Amri scheiterte eine Abschiebun­g unter anderem an fehlenden Ausweispap­ieren aus Tunesien.

3000 Tunesier sind laut Tunesiens Regierung als TerrorKämp­fer im Ausland aktiv.

Quelle: dpa

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