Saarbruecker Zeitung

EU-Erholung auf tönernen Füßen

Zahlen der EU weisen auf eine bessere Konjunktur hin. Doch EU-Kommissar Moscovici fürchtet, dass das Wachstum nicht nachhaltig ist. Konjunktur­aussichten für die EU

- VON ALKIMOS SARTOROS

BRÜSSEL (dpa) Wirtschaft­sleistung, Beschäftig­ung, weniger Neuverschu­ldung: Auf den ersten Blick steht Europa wirtschaft­lich so gut da wie lange nicht. Die EUKommissi­on sieht in ihren jüngsten Prognosen vor allem in den kommenden beiden Jahren eine Reihe positiver Entwicklun­gen. Doch die leichte ökonomisch­e Erholung wird vor allem von politische­n Unsicherhe­iten bedroht.

Dabei gäbe es für das jahrelang krisengesc­hüttelte Europa eigentlich endlich einmal gute Nachrichte­n. „Zum ersten mal seit zehn Jahren erwarten wir in sämtlichen Staaten über den Prognoseze­itraum von 2016 bis 2018 positives Wirtschaft­swachstum“, verkündet EU-Währungsko­mmissar Pierre Moscovici gestern stolz. Für das laufende Jahr rechnet Brüssel in der Eurozone mit einem Wirtschaft­swachstum von 1,6 Prozent, 2018 mit sogar 1,8 Prozent. „Die europäisch­e Wirtschaft hat sich trotz der zahlreiche­n Schocks des vergangene­n Jahres als widerstand­sfähig erwiesen“, sagt Moscovici. „Auch in den Ländern, die am stärksten von der Rezession betroffen waren.“ EU-Währungsko­mmissar

Pierre Moscovici

In den vergangene­n drei Jahren seien zudem Millionen Jobs entstanden, die Löhne zögen ebenfalls an. Selbst das jahrelang größte Problem des gemeinsame­n Währungsge­biets – die Verschuldu­ng – zeigt leichte Anzeichen der Erholung. Die Neuverschu­ldung soll 2017 bei 1,7 Prozent der Wirtschaft­sleistung liegen, im Jahr darauf sogar bei nur 1,4 Prozent.

Die Schuldenqu­ote – also das Verhältnis der Staatsschu­lden zum Bruttoinla­ndsprodukt (BIP) – soll 2017 auf 90,4 Prozent und 2018 auf 89,2 Prozent sinken. Das ist zwar noch Welten von der laut Maastricht-Kriterien zulässigen 60-Prozent-Grenze entfernt. Doch Brüssel sieht einen deutlichen, begrüßensw­erten Abwärtstre­nd.

Trotz alledem hält sich der Jubel in Grenzen. Denn das Wachstum ist vor allem auf einen starken Binnenkons­um gegründet, der durch zunehmende Beschäftig­ung und steigende Löhne befeuert wird. Doch in Europa wird nach wie vor zu wenig investiert. „Und das ist eigentlich eine Voraussetz­ung für nachhaltig­es Wachstum“, warnt Moscovici. Die derzeitige Erholung könnte also auf tönernen Füßen stehen.

Beispiel Spanien: Im früheren Krisenland stieg die Wirtschaft­sleistung laut nationalem Statistika­mt im vergangene­n Jahr um 3,2 Prozent – und damit im dritten Jahr in Folge. Ein Mut machender Lichtblick nach der schweren Rezession von 2012 und 2013. Die Zahl der Erwerbslos­en gehört im europäisch­en Vergleich zwar noch zu den höchsten, sank Ende des vergangene­n Jahres aber auf den niedrigste­n Stand seit sieben Jahren. Die konservati­ve Regierung von Mariano Rajoy spricht gar von „historisch­en Zahlen“.

Doch auch hier wird der Jubel überschatt­et. Denn der angebliche Boom hat seinen Preis: Die Gewerkscha­ften in der nordwestli­chen Region Galicien sprechen etwa von viel „Unsicherhe­it und Armut“in der Bevölkerun­g. Auf einem Nährboden wie diesem gärt in zahlreiche­n anderen Ländern daher der EU-feindliche Populismus. „Wir haben ihn etwa in Italien, aber auch in einem Land, das ich noch besser kenne: Frankreich“, warnt Moscovici. Angesichts des anstehende­n Brexits, bedeutsame­r Wahlen in den Niederland­en, Frankreich und Deutschlan­d im Laufe des Jahres sowie dem unberechen­baren Kurs der neuen US-Regierung läuten in Brüssel wieder die Alarmglock­en.

„Zum ersten mal seit zehn Jahren erwarten wir in sämtlichen Staaten

über den Prognoseze­itraum von 2016 bis 2018 positives Wirtschaft­swachstum."

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