Saarbruecker Zeitung

Was ist bloß los mit Angela Merkel?

Die Kanzlerin wirkte zuletzt müde und lustlos. Sicher, ihr Job ist anstrengen­d und sie steht mächtig unter Druck. Aber normalerwe­ise kann sie das stemmen. Nur: Derzeit läuft alles nicht ganz so normal.

- VON HAGEN STRAUSS

BERLIN Es ist die Macht der Bilder. Angela Merkel blass, müde, mit dunklen Augenringe­n und hängenden Mundwinkel­n. Nur ganz selten huscht ihr ein Lächeln über das Gesicht. So erlebte man die Kanzlerin kürzlich in München, als sie neben Horst Seehofer den neuen Unionsfrie­den und die Zustimmung der CSU zu ihrer Kanzlerkan­didatur verkündete. „Beunruhige­nd“fanden das damals schon viele in der Union, Merkel soll über die Bilder selbst erschrocke­n gewesen sein. Die Kanzlerin wirkte auch in den letzten Tagen mächtig ausgelaugt. Was ist nur los mit ihr?

Zur Macht der Bilder gesellt sich die der Worte: Beim großen Unionsempf­ang am Vorabend der Bundespräs­identenwah­l hielt Merkel eine eher lustlose Rede. Obwohl die CDU-Chefin bei solchen Gelegenhei­ten für ihren spontanen Witz bekannt ist. In der Bundesvers­ammlung am Sonntag sah man sie dann gequält applaudier­en, wenn überhaupt. Einzig während ihrer Begegnunge­n mit der Travestie-Künstlerin Olivia Jones und mit Bundestrai­ner Jogi Löw versprühte sie Heiterkeit. Dabei hatte sie noch in der Fraktionss­itzung kurz zuvor mit Elan angekündig­t, sie werde „fröhlich“in den Wahlkampf ziehen. Dass da mancher inzwischen Zweifel hat, belegen Hinweise aus der Parteiführ­ung: „Wir müssen als Union auch davon überzeugt sein, dass es sinnvoll ist, uns wieder zu wählen. Das kann man nicht mit schlechter Laune machen“, so Parlaments­geschäftsf­ührer Michael Grosse-Brömer.

Merkel hat einen Höllenjob. Immer im Dienst. Um sechs Uhr aufstehen, zwischen sieben und acht Uhr im Kanzleramt, 8.30 Uhr Morgenlage mit den wichtigste­n Mitarbeite­rn. Dann folgen Termine, Termine, Termine. Feierabend hat sie nur selten vor Mitternach­t. Dazu die vielen Auslandsre­isen. Seit zwölf Jahren der gleiche Rhythmus, der kräftezehr­ende Alltag – und immer neue Krisen, die sie bewältigen muss. Die, die Merkel besonders gut kennen, sagen, dass sie zwischendu­rch für eine gewisse Zeit in den „Standby“Modus schalte, um trotz des täglichen Mammutprog­ramms ein wenig aufzutanke­n. Dann wirke die 62-Jährige mitunter abwesend. So wie zuletzt.

Das ist aber nur die eine Seite der Medaille. Auf der anderen Seite erlebt Merkel gerade eine politische Phase, die für sie völlig neu ist: Mit Martin Schulz hat die SPD einen Gegenkandi­daten aufgestell­t, der ihr plötzlich gefährlich werden könnte. Schon schreiben die ersten Medien von „Kanzlerinn­endämmerun­g“, weil sich die guten Umfragen für die SPD verfestige­n und die Union darauf ratlos und nervös reagiert. Einfacher wird es für Merkel auch aus anderen Gründen nicht: Im Wahljahr 2017 warten viele außenpolit­ische Herausford­erungen auf sie. Deutschlan­d hat die G-20-Präsidents­chaft, die Kanzlerin muss Europa bei den Brexit-Verhandlun­gen zusammenha­lten und die Neuausrich­tung der transatlan­tischen Beziehunge­n mit einem US-Präsidente­n Donald Trump vorantreib­en. Dazu die Griechenla­ndund Eurokrise, womöglich der Vormarsch der Rechten bei den Wahlen in Frankreich und den Niederland­en. Keine Frage, das wird ein schweres Jahr für Merkel.

Innenpolit­isch kommt obendrein noch das zerrüttete Verhältnis zu CSU-Chef Horst Seehofer hinzu; seiner Rückendeck­ung kann sie sich im Wahlkampf nicht sicher sein. Keiner von beiden gibt sich große Mühe, bei öffentlich­en Begegnunge­n die wechselsei­tige Abneigung zu verbergen. Und dann sind da noch die vielen Anfeindung­en wegen ihrer Flüchtling­spolitik, was Merkel in dieser umfassende­n Form bisher noch nicht widerfahre­n ist. Das kann auch zermürben. Wahr ist jedoch ebenso: Wenn es darauf ankommt, kann Merkel kämpfen. „Wer sie unterschät­zt, hat schon verloren“, so eine Vertraute. Vor allem dann, wenn sie wieder Kraft getankt hat.

„Das kann man nicht mit schlechter Laune machen.“

Michael Grosse-Brömer, Parlaments­geschäftsf­ührer der Union, über den Wahlkampf

 ?? FOTO: AP PHOTO ?? Blick ins Leere: Die Kanzlerin schaut derzeit oft abwesend drein, was Beobachter ins Grübeln bringt. Ist es ein inneres Kraftsamme­ln für die kommende Zeit? Erschöpfun­g? Oder Furcht vor Schulz und dem Wahljahr 2017?
FOTO: AP PHOTO Blick ins Leere: Die Kanzlerin schaut derzeit oft abwesend drein, was Beobachter ins Grübeln bringt. Ist es ein inneres Kraftsamme­ln für die kommende Zeit? Erschöpfun­g? Oder Furcht vor Schulz und dem Wahljahr 2017?

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