Europa kümmert sich stärker selbst um seine Sicherheit
LEITARTIKEL
Die verteidigungspolitische Selbsterkenntnis Europas ist überall mit Händen zu greifen: mehr Geld für Armeen, größere Eigenverantwortung der Gemeinschaft. Man muss nicht einmal ergänzen, ob von der Nato oder der EU die Rede ist. An beiden Tischen wird heftig über jene neue Ära geredet, die zwar noch eine Führungsrolle der USA kennt, die aber nicht mehr auf allen Gebieten gilt.
Tatsächlich nehmen die Mitgliedstaaten wieder mehr Finanzmittel in die Hand, um ihre zugrunde gesparten Truppen auf Vordermann zu bringen. In der EU probt man bereits erste gedankliche Spielereien an eine Art Hauptquartier für Einsätze unter dem Sternenbanner.
Der rüstungspolitische Aufbruch findet auf allen Ebenen statt – nur dort nicht, wo er angebracht wäre. Wehrtechnische Systeme könnte man harmonisieren, um günstiger zu forschen und einzukaufen. Ob die erhofften Preisnachlässe von bis zu 20 Prozent am Ende dabei herauskommen, scheint nicht einmal wichtig. Entscheidender ist wohl die gemeinsame Planung und Verzahnung der Verteidigungsfähigkeiten. Schließlich würde es reichen, wenn zum Beispiel Deutschland und Frankreich sich beim Lufttransport zusammentun. Bisher endete der Versuch, Truppen in eine Krisenregion zu verlegen, nicht selten mit dem Betteln des Nato-Generalsekretärs um entsprechende Flugzeuge.
Der europäische Binnenmarkt existiert im wehrtechnischen Bereichen nur in Bruchstücken, weil die 28 Mitgliedstaaten auch gerne Aufträge an eigene Firmen vergeben. Ein gemeinsamer Einkauf könnte in der Folge bedeuten, dass es zu Jobverlusten kommt. Bisher hat dies viel sinnvolle Zusammenarbeit verhindert. Zumindest das darf sich US-Präsident Donald Trump als Erfolg an die Fahnen heften. Der Druck aus Washington ist zwar nicht neu – auch Barack Obama hat von den Europäern mehr Selbstverantwortung gefordert. Sie reagieren aber erst jetzt. Spät, aber nicht zu spät.
Dabei haben Europas Regierungen noch ein hartes Stück Arbeit vor sich. Denn die Verschlankung der Beschaffung von Panzern und Co. ist das wohl am leichtesten zu lösende Kapitel der Eigenverantwortung. Wenn es um die Frage der Befehlsgewalt, um Standorte und Einsatzleitungen geht, wird man sich in die Haare kriegen. Denn dann muss man sich einigen: Wer hat am Ende das Sagen?
Das Treffen der Nato-Verteidigungsminister hat gestern in noch einem Punkt eine Klärung gebracht. Die Deutlichkeit, mit der US-Verteidigungsminister James Mattis Russland wegen der KrimAnnektion und des Ukraine-Konflikts angegangen hat, spricht Bände. Sollte Wladimir Putin darauf gehofft haben, die neue USFührung werde ihm Absolution erteilen und die entstandenen Realitäten anerkennen, täuscht er sich. Die USA stellen sich unmissverständlich in eine Reihe mit ihren transatlantischen Partnern gegen den Kreml. Und zwar so lange, wie man in Moskau glaubt, dass militärische Gewalt als politisches Mittel akzeptiert wird.