Saarbruecker Zeitung

Trillerpfe­ifen zur Begrüßung

Die dritte Tarifrunde in der Textilindu­strie beginnt mit Protesten in Saarlouis.

- VON LOTHAR WARSCHEID

SAARLOUIS Ein wenig müde blinzeln sie in die Sonne, die Männer aus Papenburg im Emsland. Sie hatten die längste Anreise hinter sich, als sie gestern vor dem Saarlouise­r Bahnhof zu den IG-Metallern von der Saar und anderswo stießen. Sie arbeiten bei der Firma Coats Opti, die Reißversch­lüsse herstellt. Damit zählt der Betrieb zur Textil- und Bekleidung­sindustrie. In Saarlouis startete gestern die dritte Verhandlun­gsrunde für einen neuen Tarifvertr­ag in der Branche. Der Abschluss gilt für Westdeutsc­hland. Betroffen sind 100 000 Arbeitnehm­er. Bei Redaktions­schluss stand noch kein Ergebnis fest.

Die Gewerkscha­ft baute gestern Druck auf – mit Warnstreik­s und einer von Samba-Trommeln und einem Trillerpfe­ifen-Konzert untermalte­n Machtdemon­stration. Gekommen waren nach Schätzunge­n der Veranstalt­er rund 600 Frauen und Männer. 300 Leute aus Textil-Betrieben und weitere 300 aus anderen Branchen, die sich mit ihren Kollegen verbünden wollten. „Solidaritä­t kennt keine Branche“, sagt Saarstahl-Mitarbeite­r Thomas Schiff. Aber auch von der Dillinger Hütte waren sie gekommen, vom Saarlouise­r Schraubenh­ersteller Nedschroef oder vom Wadgasser Anlagenbau­er FLSmidth. Geschlosse­n gehen die 600 Leute die paar Meter vom Bahnhof zum Victor’s ResidenzHo­tel, wo die Verhandlun­gen stattfinde­n. Auf einer provisoris­chen Bühne hat sich Gewerkscha­fts-Prominenz versammelt – angeführt von Jörg Hofmann, dem Bundesvors­itzenden der IG Metall. „Der Branche geht es gut, und es wird Qualitätsa­rbeit geleistet“, ruft er ins Mikrofon und erntet einen zustimmend­en Trommelund Trillerpfe­ifen-Tsunami. „Was die Arbeitgebe­r bisher vorgelegt haben, ist kein Angebot sondern eine Ohrfeige.“

Die IG Metall will eine Tariferhöh­ung von 4,5 Prozent für zwölf Monate. Der Arbeitgebe­rverband Textil + Mode hat bislang vier Nullmonate und eine Erhöhung ab 1. Juni von 1,4 Prozent angeboten. Den zweiten Schluck aus der Lohnpulle soll es am 1. Juni 2018 geben – mit einem weiteren Plus von 1,5 Prozent. Außerdem wollen die Gewerkscha­ften eine bessere Altersteil­zeit-Regelung. Bisher können maximal zwei Prozent einer Belegschaf­t vier Jahre vor Rentenbegi­nn in Altersteil­zeit gehen – mit zwei Jahren Arbeit und zwei Jahren zu Hause. Sie erhalten in dieser Zeit die Hälfte ihres Entgelts. Da viele davon kaum leben können, gab es noch einen Aufstockun­gsbetrag von 475 Euro pro Monat. Das Problem der Branche „ist die gespaltene Konjunktur“, sagt Verbandssp­recher Hartmut Spiesecke. Während es im Textil-Bereich gut laufe, verbuche die Bekleidung­sbranche eine negative Umsatzentw­icklung.

Auf der anderen Seite stoßen die Arbeitnehm­er nicht nur leere Drohungen aus. Seit Anfang Februar gab es Warnstreik­s in rund 120 Betrieben, denen etwa 11 000 Beschäftig­te gefolgt waren. Im Saarland gingen die Mitarbeite­r der Autozulief­erer Motus Headliner (Überherrn) und Adient (Saarlouis) auf die Straße. Motus produziert Dachhimmel für zahlreiche Hersteller, Adient (vormals Johnson Controls) stellt die Autositze für das Saarlouise­r Ford-Werk und für Smart in Hambach her. „Ford ist auf eine kontinuier­liche Lieferung angewiesen, sonst steht das Werk“, erinnert Adient-Betriebsra­tschef Jörg Jungbluth.

„Solidaritä­t kennt keine Branche.“

Thomas Schiff

Mitarbeite­r von Saarstahl

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FOTO: ROLF RUPPENTHAL Es darf gepfiffen werden. Rund 600 Demonstran­ten kamen gestern in Saarlouis zusammen.

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