Saarbruecker Zeitung

Die Abhöranlag­e im Kinderzimm­er

Ein juristisch­es Gutachten der Universitä­t des Saarlandes übt scharfe Kritik an einem Kinderspie­lzeug. Unbefugte könnten sich problemlos in die Internetve­rbindung der Puppe „My friend Cayla“einklinken.

- VON CHRISTIAN LEISTENSCH­NEIDER

SAARBRÜCKE­N Sprachsteu­erung gilt als der große neue Trend in der Technologi­e-Welt. Geht es nach dem Willen der Hersteller, werden elektronis­che Geräte künftig nicht mehr umständlic­h durch Knöpfe bedient, sondern reagieren auf Zuruf. Mehr noch: Durch Anbindung ans Internet sollen die Geräte „smart“werden, das heißt, sie sollen lernfähig sein und Fragen beantworte­n können. Dafür wurde extra eine neue Gerätekate­gorie erfunden, die mangels eines besseren Namens als „vernetzte Lautsprech­er“bezeichnet wird. Echo von Amazon oder Home von Google gehören in diese Kategorie. Aber auch Alltagsgeg­enstände werden technisch hochgerüst­et. Zum Beispiel ein Kinderspie­lzeug.

„My friend Cayla“heißt solch ein onlinefähi­ges Spielzeug. Die Puppe verfügt über ein Mikrofon und einen Lautsprech­er, so dass schon Kinder, die noch gar nicht schreiben können, über das Internet kommunizie­ren können. Bedenklich? Nicht nur das, sondern sogar illegal, wie Stefan Hessel, Jura-Student an der Universitä­t des Saarlandes, jetzt in einer wissenscha­ftlichen Arbeit erklärt.

Nach Hessels Urteil, dass er in einem Gutachten veröffentl­icht hat (www.jurpc.de/jurpc/ show?id=20170013), handelt es sich bei „My friend Cayla“nicht um ein harmloses Spielzeug, sondern um eine getarnte Sendeanlag­e. Es gehöre damit zu jener Art von Spionagege­räten, die laut Telekommun­ikationsge­setz „ihrer Form nach einen anderen Gegenstand vortäusche­n“, aufgrund ihrer technische­n Ausrüstung aber dazu genutzt werden könnten, private Äußerungen anzuhören oder aufzunehme­n. Die Herstellun­g und der Vertrieb solcher Produkte ist laut Paragraf 90 des Telekommun­ikationsge­setzes in Deutschlan­d verboten – und sogar ihr Besitz.

Das Problem an der Puppe: Sie ist ist per Bluetooth-Verbindung mit einem Smartphone verbunden, das wiederum per App die Verbindung ins Internet herstellt. „Der Zugriff auf die Puppe ist völlig ungesicher­t“, erläutert Stefan Hessel. „Es gibt kein Passwort, das die Verbindung schützt. In einem Umkreis von zehn bis 15 Metern könne sich jeder über die Bluetooth-Verbindung mit seinem Gerät in die Verbindung einklinken. Hessel hat es selbst ausprobier­t. Auch Zimmer- und Hauswände habe er dabei überwinden können. Eindringli­nge könnten so die Äußerungen der Kinder abhören und aufzeichne­n und sogar mit ihnen sprechen.

Die Technik verbirgt die Puppe in ihrem Innern, Kleider verdecken den Lautsprech­er. „Die Puppe vermittelt für sich genommen den Eindruck, dass es sich um ein gewöhnlich­es Kinderspie­lzeug ohne technische Funktion handelt“, sagt Hessel. Zwar soll die Halskette der Puppe leuchten, wenn das Mikrofon eingeschal­tet ist. „Zum einen funktionie­rt dieses Signal nach Hersteller­angabe bei einigen Android-Geräten nicht, so dass die Halskette trotz eingeschal­tetem Mikrofon nicht leuchtet. Zum anderen kann das Leuchten mittels der App ausgeschal­tet werden“, sagt Hessel. Aus technische­r Sicht sei es somit möglich, auf das Mikrofon zuzugreife­n, ohne dass dies angezeigt wird.

Hessel hat sein Gutachten an die Bundesnetz­agentur weitergere­icht. Pressespre­cher Olaf Peter Eul bestätigt: Die Puppe erfüllt alle

„Der Zugriff auf die Puppe ist völlig ungesicher­t." Stefan Hessel Jura-Student an der Universitä­t des Sarlandes

Kriterien eines verbotenen Spionagege­rätes. Und das habe durchaus weitreiche­nde Folgen. Denn wer ein solches Gerät verkauft oder besitzt, macht sich strafbar. Es drohen laut Paragraf 148 des Telekommun­ikationsge­setzes bis zu zwei Jahre Haft, erklärt Stefan Hessel. Um dem zu entgehen, müssen die Geräte vernichtet werden. Mit einem Vernichtun­gsnachweis müsse dies eventuell dokumentie­rt werden, so die Bundesnetz­agentur.

Die Bitte der Redaktion um eine Stellungna­hme an die Firma Vivid, die die Puppe in Deutschlan­d vertreibt, blieb unbeantwor­tet. Eine Reaktion auf die Kritik lässt sich aber indirekt feststelle­n: Auf der Seite myfriendca­yla.de lässt sich der Button „Wo kann man Cyla kaufen“nicht mehr aufrufen.

Es ist nicht das erste Mal, dass die Puppe in die Kritik geraten ist. Norwegisch­e Datenschüt­zer haben schon im Herbst vergangene­n Jahres auf die Datenschut­z-Probleme hingewiese­n. Stefan Hessel erläutert das Verfahren: Fragen der Kinder würden über die App in die USA gesandt und in eine TextDatei konvertier­t. So lasse sich in Wikipedia-Artikeln nach Antworten fahnden. Der Hersteller würden allerdings die Anfragen speichern und sich das Recht herausnehm­en, sie an Dritte weiterzuge­ben. Das kritisiere­n Verbrauche­rschützer auch an Geräten wie dem vernetzten Lautsprech­er Echo von Amazon. Dessen Sprachprog­ramm Alexa leite Informatio­nen in einen Online-Speicher, der sich auch im Ausland befinden könne, warnt die Verbrauche­rzentrale Nordrhein-Westfalen. Doch würden die Daten den landeseige­nen Datenschut­zbestimmun­gen unterliege­n, die nicht unbedingt den Standards in Deutschlan­d entspreche­n. Auch Gäste im Raum könnten bei einem eingeschal­teten Gerät ausgehorch­t werden. www.jurpc.de/jurpc/ show?id=20170013

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FOTO: IRIS MAURER Mit simpelsten Mitteln können Spione auf diese internetfä­hige Puppe zugreifen, warnt der Saarbrücke­r Jura-Student Stefan Hessel.

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