Saarbruecker Zeitung

Wenn der Doktor zum Verkäufer wird

Jeder zweite Patient bekommt vom Arzt privat zu bezahlende Gesundheit­sleistunge­n angeboten. Das Problem: Viele sollen mehr schaden, als sie nützen.

- VON STEFAN VETTER

BERLIN Ein Lungen-Check für 25 bis 50 Euro, oder ein EKG für 20 bis 75 Euro – in manchen deutschen Arztzpraxe­n geht es heute zu wie auf einem orientalis­chen Basar. Häufig handelt es sich um Früherkenn­ungsmaßnah­men jenseits der von den Kassen bezahlten Vorsorge-Untersuchu­ngen. Aber welche dieser Maßnahmen sind ihr Geld wirklich wert? Und wo wird das Geschäft mit den individuel­len Gesundheit­sleistunge­n zur Geldschnei­derei?

„Aus zahlreiche­n Zuschrifte­n wissen wir, dass sich viele Patienten bei der Entscheidu­ng über eine so genannte IGeL-Leistung (individuel­le Gesundheit­sleistung) allein gelassen fühlen“, sagt der Geschäftsf­ührer des Medizinisc­hen Dienstes der Krankenkas­sen (MDS), Peter Pick. Und er zitiert Beispiele. Bei regelmäßig­en gynäkologi­schen Kontrollun­tersuchung­en werde sie immer wieder gefragt, ob sie solche Leistungen kaufen wolle, klagte eine Schwangere. Einem anderen Patienten wurde schon am PraxisTres­en, also noch vor der Untersuchu­ng, gleich eine ganze Preisliste vorgelegt, die er nach seinen Wünschen ankreuzen sollte.

So etwas erzeugt zweifellos Druck. Einer Umfrage zufolge haben auch schon 54 Prozent der Patienten, die Zusatzleis­tungen angeboten bekamen, davon wirklich Gebrauch gemacht. Dabei stehen ihnen eigentlich umfassende Informatio­n über die ärztlich empfohlene­n Extras zu. Und sie können sich Bedenkzeit ausbitten. Eine Entscheidu­ngshilfe ist hier das vor fünf Jahren eingericht­ete Internetpo­rtal der Krankenkas­sen. Unter www.igel-monitur.de werden häufig angebotene Sonderleis­tungen auf Basis von wissenscha­ftlichen Kriterien bewertet und beschriebe­n. Mittlerwei­le sind es 45 solcher Extras – von der Akupunktur in der Schwangers­chaft bis zum Ultraschal­l der Halsschlag­ader. Lediglich drei werden als „tendenziel­l positiv“eingestuft.

Das heißt: Der Nutzen ist größer als der Schaden. Darunter fällt zum Beispiel die Stoßwellen­behandlung bei Fersenschm­erz. 15 Bewertunge­n bekommen mangels verwertbar­er Daten das Prädikat „unklar“. Immerhin 17 IGelLeistu­ngen gelten als „tendenziel­l negativ“. Darunter sind auch der Lungen-Check und ein VorsorgeEK­G zur Früherkenn­ung einer koronaren Herzerkran­kung. In beiden Fällen gebe es keine Hinweise auf einen Nutzen, doch könnten unnötige Weiterbeha­ndlungen zu Schäden führen, heißt es beim Medizinisc­hen Dienst der Kassen. Bei vier weiteren Zusatzleis­tungen übersteige der Schaden den Nutzen sogar deutlich, so MDSChef Pick. Darunter fällt etwa die durchblutu­ngsfördern­de Infusionst­herapie bei Hörsturz. Nach Einschätzu­ng Picks hat das Bewertungs­portal in der Ärzteschaf­t durchaus gewirkt. Mittlerwei­le würden in den Praxen mehr Informatio­nen angeboten. „Aber es gibt natürlich nach wie vor auch Ärzte, die die Angebote als „Lizenz zum Gelddrucke­n“sehen und die den Patienten gegenüber entspreche­nd agieren“.

Bei der Kassenärzt­lichen Bundesvere­inigung (KBV) sieht man die Sache naturgemäß etwas anders. Es sei „falsch, alle diese Zusatzleis­tungen unter Generalver­dacht zu stellen. Sie können selbstvers­tändlich auch medizinisc­h sinnvoll sein“, betont KBVSpreche­r Roland Stahl im Gespräch mit unserer Redaktion. Dafür spreche dann auch, dass Kassen solche Extras zum Teil schon als Satzungsle­istung anböten. „Und ein Arzt, der sich nur als Marktverkä­ufer sieht, schadet sich langfristi­g selbst“, ist Stahl überzeugt.

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FOTO: FOTOLIA Ärzte bieten heute viele Zusatzleis­tungen an. Nicht alle sollen helfen, aber trotzdem was kosten.

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