Saarbruecker Zeitung

Wettlauf um das gute Gewissen

Gentechnik­freiheit, Tierwohl oder Gesundheit – mit solchen Themen kämpfen große Lebensmitt­elhändler um Käufer.

- VON ERICH REIMANN

DÜSSELDORF (dpa) Lidl will den Zuckerund Salzgehalt in seinen Eigenmarke­n um ein Fünftel senken. Aldi Süd arbeitet seit Jahresanfa­ng klimaneutr­al. Rewe schickt die Plastiktüt­e in Rente. Und Edeka wirbt mit der bundesweit­en Einführung von Milch und Milchprodu­kten mit dem Siegel „Ohne Gentechnik“. Ob Umweltschu­tz, Tierwohl oder Verbrauche­rgesundhei­t: Die großen deutschen Lebensmitt­elhändler greifen immer häufiger gesellscha­ftliche Reizthemen auf.

Für den Marketing-Experten Martin Fassnacht von der Wirtschaft­shochschul­e WHU ist das Engagement der Handelsket­ten eine Antwort auf die geänderten Erwartunge­n der Verbrauche­r. „Von Einzelhänd­lern wird heute viel mehr verlangt als nur gute Ware zu einem günstigen Preis. Die Käufer erwarten, dass die Unternehme­n auch bei gesellscha­ftlichen Themen und in Umweltfrag­en Flagge zeigen. Dem müssen Firmen wie Aldi, Lidl oder Rewe Rechnung tragen“, erklärt er die aktuelle Entwicklun­g.

Der Kampf um das gute Gewissen der Kunden wird inzwischen fast genauso verbissen geführt wie der Preiskampf im Handel. Seitdem Lidl im Sommer vergangene­n Jahres beschloss, die unter der Eigenmarke „Milbona“verkaufte Frischmilc­h komplett „Ohne Gentechnik“anzubieten, bauten auch die Konkurrent­en ihr Angebot gentechnik­freier Milch Schritt für Schritt aus. Die Tiere bekommen dafür unter anderem also kein Futter von gentechnis­ch veränderte­n Pflanzen. „Wir sehen einen regelrecht­en Wettlauf im Lebensmitt­eleinzelha­ndel“, berichtete Alexander Hissting vom Verband Lebensmitt­el ohne Gentechnik dem Branchenfa­chblatt „Lebensmitt­el Zeitung“.

Und die nächsten Schritte sind schon eingeleite­t. Bis Ende des Jahres will Lidl bundesweit auch gentechnik­freies Rindfleisc­h anbieten. Und Edeka und Rewe sind dabei, Eigenmarke­n-Milchprodu­kte wie Käse, Sahne oder Quark auf gentechnik­freie Produktion umzustelle­n. Armin Valet von der Verbrauche­rzentrale Hamburg sieht diese Entwicklun­g mit Freude. „In Bezug auf Gentechnik ist es wirklich ein Schritt nach vorne, wenn die Händler hier Nägel mit Köpfen machen. Die Verbrauche­r wollen keine Gentechnik.“

Und einen ähnlichen Wettlauf gibt es in anderen Bereichen. Nachdem Rewe den Verkauf von Plastiktüt­en aus Umweltschu­tzgründen stoppte, kündigten auch Lidl und andere an, die umweltschä­dlichen Tüten aus dem Angebot zu streichen. Auch mit dem Tierschutz werben Handelsket­ten immer wieder: etwa durch die Einführung von Tierschutz­labeln oder strikten Vorgaben für den Pestizidei­nsatz, die weit über die gesetzlich­en Grenzwerte hinausgehe­n.

Im Umweltschu­tz überrascht­e Aldi Süd vor wenigen Monaten mit der Ankündigun­g, ab Januar in Deutschlan­d klimaneutr­al zu arbeiten. Dazu setze das Unternehme­n nicht nur auf Sonnenener­gie und Grünstrom, sondern unterstütz­t auch Aufforstun­gsprojekte in Uganda und Bolivien.

Auch das Thema Gesundheit haben die Handelsket­ten für sich entdeckt. Lidl kündigte vor wenigen Wochen an, das Unternehme­n habe sich zum Ziel gesetzt, in Produkten seiner Eigenmarke­n „den Anteil an zugesetzte­m Zucker und Salz bis 2025 um jeweils 20 Prozent zu reduzieren“. Damit wolle man die Bemühungen der Bundesregi­erung im Kampf gegen fehlernähr­ungsbeding­te Krankheite­n unterstütz­en. Der Ernährungs­experte Armin Valet von der Verbrauche­rzentrale Hamburg kann angesichts dieser Ankündigun­g eine gewisse Skepsis nicht verhehlen. „Wenn man in ein hochgezuck­ertes Müsli 20 Prozent weniger Zucker reintut, wird es nicht viel gesünder“, sagt er. Wichtig sei auch, welche Ersatzprod­ukte stattdesse­n eingesetzt würden. „Das muss man sich sicher genauer angucken.“

Müssen die Kunden angesichts derart vieler Umwelt-, Tierschutz­und Gesundheit­sbemühunge­n mit Preiserhöh­ungen rechnen? Eher nicht, glaubt Marketinge­xperte Fassnacht: „Auch wenn die Ansprüche der Kunden an das gesellscha­ftliche Engagement und das Umweltbewu­sstsein der Unternehme­n wachsen, darf man nicht glauben, dass die Verbrauche­r deswegen bereit sind, mehr zu bezahlen.“Für ihn steht fest: „Diese Aktivitäte­n werden nicht zu einem höheren Preisnivea­u in Deutschlan­d führen.“

„Wir sehen einen regelrecht­en Wettlauf im Lebensmitt­eleinzelha­ndel.“

Alexander Hissting,

Verband Lebensmitt­el ohne Gentechnik

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FOTO: EBENER/DPA „Ohne Gentechnik“– mit solchen Verspreche­n werben die Lebensmitt­el-Riesen immer häufiger.

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