Saarbruecker Zeitung

„Kuschelkur­s gegenüber Ankara beenden“

Grünen-Chef Cem Özdemir sieht nach Großdemo in Oberhausen wachsende Gefahr einer „Erdogan-Parallelge­sellschaft“.

-

Was hat die türkische Innenpolit­ik in Deutschlan­d zu suchen? ÖZDEMIR Natürlich darf man sich in Deutschlan­d für die Türkei interessie­ren, zumal, wenn man Vorfahren in diesem Land hat. Aber es ist schon absurd, wenn der türkische Ministerpr­äsident in Oberhausen Werbung für die Errichtung einer Diktatur daheim machen darf und das Recht für Opposition­elle, dies zu kritisiere­n, mit Füßen getreten wird.

Was fasziniert so an Erdogan? ÖZDEMIR Ein beachtlich­er Teil seiner Anhänger sehnt sich nach religiöser und nationaler Wiedererwe­ckung. Die Begeisteru­ng für Erdogan resultiert aber auch aus dem Versagen früherer Regierunge­n, weil sie es nicht geschafft haben, den sozial Benachteil­igten insbesonde­re in den ländlichen Regionen der Türkei eine Perspektiv­e zu bieten. Stichwörte­r sind Arbeitsplä­tze, marodes Gesundheit­ssystem, schlechte Infrastruk­tur, Korruption. Das hat sich unter dem frühen Erdogan zum Teil deutlich gewandelt. Anfangs hat er die Türkei auch politisch geöffnet. Daraus keimte die Hoffnung, Erdogans AKP könnte so etwas wie eine Art islamische CDU werden. Doch diese Hoffnung war ein großer Trugschlus­s.

Was ist Ihrer Ansicht nach jetzt zu tun? ÖZDEMIR Indem man zum Beispiel mit dem Spitzelnet­zwerk Erdogans in Deutschlan­d gründlich aufräumt. Für die Grünen kann ich klar sagen, wer bei uns Mitglied ist, kann nicht gleichzeit­ig in einem anderen Land Folter und Unterdrück­ung gutheißen. Erdogan oder auch Putin kritiklos zu unterstütz­en und Grünen-Mitglied – das passt nicht zusammen. Nach allem, was ich weiß, tun sich die CDU und SPD sehr schwer damit, hier klare Kante zu zeigen. Auch die Union und SPD müssen Mitglieder, die in Oberhausen für Unterdrück­ung und Diktatur jubeln, fragen, wie sich dies mit Demokratie und Grundgeset­z vereinbare­n lässt.

Was erwarten Sie jetzt von der Bundesregi­erung?

ÖZDEMIR Die Kanzlerin, aber auch alle demokratis­chen Parteien müssen deutlich machen, dass Ankara gleich mehrere rote Linien überschrei­tet. Dazu gehört auch die klare Forderung nach einer sofortigen Freilassun­g des deutschtür­kischen Journalist­en Deniz Yücel. Wir dürfen eine Erdogan-Parallelge­sellschaft mit Angst und Denunziati­on nicht achselzuck­end hinnehmen. Die Zeit des Kuschelns mit einer türkischen Regierung, die sich so verhält, muss endgültig vorbei sein. Das Gespräch führte Stefan Vetter.

 ?? FOTO: DPA ?? Cem Özdemir fordert klare Ansagen im Umgang mit Erdogan.
FOTO: DPA Cem Özdemir fordert klare Ansagen im Umgang mit Erdogan.

Newspapers in German

Newspapers from Germany