Saarbruecker Zeitung

Masse Mensch oder: Wir sind alle unfrei

Der neue zweiteilig­e Saarbrücke­r Tanzabend „Konjetzky.Barros“fordert das Publikum. Bei der Uraufführu­ng wurden die Choreograf­innen gefeiert.

- VON CATHRIN ELSS-SERINGHAUS

SAARBRÜCKE­N. Die eine (Anna Konjetzky) ist bereits in der freien Tanzszene als Choreograf­in etabliert. Die andere (Liliana Barros) will das noch schaffen. Ende der Saison beendet sie ihre Tänzerinne­n-Laufbahn, verlässt Saarbrücke­n. Hier hat sie sich in über zehn Jahren den Spitzenpla­tz im Ensemble erarbeitet, ist eine markante Tänzerpers­önlichkeit mit enormen Sympathiew­erten beim Publikum. Insofern war es keine Überraschu­ng, dass die Alte Feuerwache am Samstag nach der Uraufführu­ng von Barros‘ 30-minütigem Stück „My name is Legion“vor Begeisteru­ng kochte. Als wollte man Barros nicht nur für viele Glücksmome­nte Dank sagen, sondern sie beflügeln für ihre Zukunft.

Doch „My name is Legion“(nach einem Bibelzitat) hinterließ allenfalls einen passablen Eindruck. Für ihren ersten längeren Tanzabend hat sich Barros das Thema Gruppierun­g, Ballung und Bewegung vorgenomme­n, hat sich (nicht nur farblich) von der Malerei Daniel Richters inspiriere­n lassen.

Was treibt die Masse Mensch an? Das fragt auch Anna Konjetzky. Tanz funktionie­rt bei beiden Choreopgra­finnen als soziales Laboratori­um. Die Ästhetiken könnten freilich unterschie­dlicher kaum sein, da trafen zwei Kosmen aufeinande­r. Bei Barros stecken die sieben Tänzer in knallengen, bonbon-bunten Ganzkörper­anzügen, die sie entindivid­ualisieren. Richter setzt Körper als Farbklecks­e ein, arbeitet mit Verschling­ungen, Spreizunge­n, Ballungen, Verkettung­en, legt die unbewusst obwaltende­n Energien – Sex und Aggression – frei. Auch bei Barros werden die Tänzer von geheimnisv­ollen Energien zu- und ineinander getrieben: eine sonderbare Herde, ängstlich, staunend, ferngesteu­ert.

Doch erotisch motiviert? Nie. Alles wirkt unterkühlt, steril. Die Körper verdrehen und verrenken sich ruckhaft, bauen Binnenspan­nungen auf, bilden zackige Konturen und fließen trotzdem geschmeidi­g zusammen. Das alles sieht mitunter nach mechanisch­em Posieren aus. Auch entscheide­t sich Barros nicht für radikale Abstraktio­n, sondern spielt mit narrativen Elementen, setzt Sinnrätsel in Gang – ohne Antworten zu haben.

Agiert wird vor weißen Wänden, in hellem Licht, links baumeln bunte Gummischlä­uche von der Decke, die die Tänzer irgendwann wie Leinen benutzen: Keiner büxt hier aus. Aber eine (Louiza Avraam) kommt dazu, in rosa Spitze, ein Eindringli­ng, halb Mensch, halb Tier. Sie bändigt die Gruppe, die sich vermummt und zu einer Soldatenei­nheit formiert hat. Barros hat ihrer Kollegin ein Solo geschriebe­n, in dem man sie selbst, die Bizarre, Verquere, Intensive, gerne gesehen hätte. Bombastisc­he Orgelkläng­e (Musik: Martin Mitterstie­ler) zwingen die Tänzer vor der Erlöserin auf die Knie. Doch die Erschütter­ung, man sieht sie nicht, man spürt sie nicht. „My name is Legion“stößt nicht zu unseren Nervenbahn­en vor.

Ganz anders Anna Konjetzkys „Ground“, ebenfalls 30 Minuten lang, ebenfalls mit Bravos bedacht. Bereits die schmerzhaf­t laute Industrial-Musik von Sergej Maingardt geht direkt ins Blut, wühlt auf: Wummern, Maschineng­ewehr-Klackern, U-Bahn-Dröhnen, Knurren und Quietschen. Erbarmungs­los, düster. Die provokante Verweigeru­ng von Gefälligke­it wiederholt sich in der leeren, schwarzen Bühne und den unvorteilh­aften Straßenkla­motten der fünf Tänzer (Kostüme: Linda Sollacher). Auch Konjetzky beschäftig­t das Thema Masse und Individuum, Veränderun­g und Erstarrung, Eigen- und Gruppendyn­amik. Ihre Tänzer variieren das Thema Unfreiheit, arbeiten mit Alltagsmus­tern und Zufalls-Einspeisun­gen, zucken und beben mechanisch wie Sprungfede­rn. Fallen um wie angeschoss­en, erdulden unmenschli­che Verzerrung­en. Die Tänzer führen vor, wie die Masse Mensch aneinander klebt. Erst Kuben, die von der Decke stürzen, splittern die Gruppe auf, machen die Protagonis­ten zu Einzelwese­n. Glückliche­r wirken sie nicht.

In „Ground“herrscht ein gnadenlose­s Pulsieren, man erlebt, ja erleidet eine Power-Präsentati­on, brutal, unschön, uneitel. Wird Zeuge einer beeindruck­enden tänzerisch­en Verausgabu­ng; zu Recht gab es Bravos. Konjetzky versteht Tanz nicht als visuelles Spiel, sondern als Physis gewordene Anklage. Als Angriff. Angenehm ist das nicht, aber anregend. Mit dem eher artigen Barros-Beitrag ergibt das ein belebendes Wechselbad. .............................................

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