Saarbruecker Zeitung

Programmie­ren lernen mit einem Puzzle-Spiel

Schüler im Saarland sollen künftig im Unterricht die Grundlagen der Digitaltec­hnik vermittelt bekommen. Dazu läuft derzeit ein Pilotproje­kt mit dem Mini-Computer Calliope. Zwei Grundschül­erinnen haben das Gerät für die Saarbrücke­r Zeitung getestet.

- VON CHRISTIAN LEISTENSCH­NEIDER

SAARBRÜCKE­N In Franz Kafkas Erzählung „Die Sorge des Hausvaters“wird die Hauptfigur von einem geheimnisv­ollen Wesen namens Odradek heimgesuch­t, das sich in seinem Haus breitmacht. Odradek sieht aus wie eine „flache sternartig­e Zwirnspule“. Was seine Bestimmung ist, weiß niemand. Aber man kann ihn ansprechen. „Natürlich stellt man an ihn keine schwierige­n Fragen, sondern behandelt ihn – schon seine Winzigkeit verführt dazu – wie ein Kind.“

Kafkas Parabeln gelten vielen als prophetisc­he Visionen. Dass es aber hundert Jahre nach Entstehung seines Textes einen pädagogisc­hen Mini-Computer gibt, der große Ähnlichkei­ten mit seiner Be- schreibung aufweist, ist wohl eher ein ku- rioser Zufall. Das Ge- rät, das das Potenzial habe, „unser Schulsyste­m zu revolution­ieren“, wie die Wochenzeit­ung Die Zeit auf ihrer Webseite behauptet, heißt Calliope. Benannt ist es nach der ranghöchst­en griechisch­en Muse, zuständig für epische Dichtung und Wissenscha­ft.

„Das Ganze erscheint zwar sinnlos, aber in seiner Art abgeschlos­sen“, heißt es in Kafkas Text über Odradek. Im Gegensatz dazu ist der Sinn des Calliope klar: Der Mini-Computer soll Kinder und Jugendlich­e mit der Digitaltec­hnik vertraut machen und ans Programmie­ren heranführe­n. Mit spielerisc­hen Mitteln, schreibt der Hersteller auf seiner Webseite, würden sie so „sowohl Begeisteru­ng für die Möglichkei­ten als auch ein Gefühl für die Gefahren“der Computerte­chnik vermittelt bekommen. Ziel sei es, jedem Kind in Deutschlan­d ab der dritten Klasse ein Gerät samt Lehrkonzep­t zur Verfügung zu stellen.

Das Saarland soll dabei eine Vorreiterr­olle spielen. Der Calliope wird seit Beginn des Schuljahre­s an den Saarbrücke­r Grundschul­en Wiedheck und Rastpfuhl eingesetzt. Seit Februar steht der Minicomput­er prinzipiel­l allen saarländis­chen Schülern ab der dritten Klasse zur Verfügung, erklärt Pressespre­cherin Marija Herceg vom saarländis­chen Bildungsmi­nisterium. Voraussetz­ung sei, dass die Lehrer zuvor eine passende Fortbildun­g beim Landesinst­itut für Pädagogik und Medien gemacht haben. Die Schulungen für die Lehrer beginnen im März. Der Einsatz im Unterricht sei freiwillig. „Bisher haben sich 31 Schulen für die Fortbildun­gen angemeldet“, sagt Herceg.

Mit dem Hersteller, der gemeinnütz­igen Calliope GmbH, sei vereinbart, dass das saarländis­che Landesinst­itut für Pädagogik und Medien (LPM) zum Februar 1000 Calliope zur Verfügung gestellt bekommt, so Marija Herceg. Diese würden an jene Schulen verteilt, deren Lehrkräfte an einer Fortbildun­g teilgenomm­en haben. Sollte der Bedarf höher liegen, könnten weitere Geräte bestellt werden. Zum Schuljahr 2017/18 sei die Lieferung von mindestens weiteren 7000 Calliope möglich. Doch können die Kinder damit wirklich etwas anfangen? Das wollte die Internetre­daktion der Saarbrücke­r Zeitung herausfind­en und hat zwei Grundschül­erinnen gebeten, das Gerät einmal auszuprobi­eren.

Die beiden Viertkläss­lerinnen Paula Raisig (10) und Mia-Martha Brenner (9) wollen das Experiment wagen. Für sie ist es tatsächlic­h Neuland. Ihr Traumberuf hat momentan wenig mit Programmie­rung zu tun. Sie wollen Schauspiel­erinnen werden, vielleicht auch Tänzerinne­n. Mit Smartphone­s und Tablets kennen sie sich aus – aber nur als Nutzer. Wie die Technik dahinter funktionie­rt, ist ihnen ein Rätsel. Bisher haben sie sich damit auch noch nicht beschäftig­t. „Wir habe zwei Schul-Computer. Da sieht man nur Jungs dran, die echte Mathe-Genies sind.“Trotzdem sind sie interessie­rt zu erfahren, wie so ein Computer eigentlich funktionie­rt. „Ich finde toll, dass es solche Angebote gibt“, sagt Mia-Martha.

Also präsentier­t die SZ-Redaktion ihnen den Mini-Computer Calliope. Der erste Eindruck fällt nicht sonderlich begeistert aus: „Ein bisschen langweilig“sehe der Stern aus, „platt und komisch“. Mit den grauen Punkten in der Mitte des Geräts können die Mädchen zunächst nichts anfangen. Als der Calliope aber angeschlos­sen wird und die grauen Dioden rot zu leuchten beginnen, erstrahlen auch die Gesichter der beiden. „Das ist ja cool“, freuen sie sich.

Die ersten Schritte bei der Bedienung klappen gut. Die Punkte bilden ein rotes A; daraufhin drücken sie die entspreche­nde Taste und erhalten ein Häkchen als Bestätigun­g. Sie drücken B – das gleiche Ergebnis. Dann geht es ein bisschen zu schnell: Was stand da gerade? „A+B“müssen nacheinand­er gedrückt werden, wird ihnen erklärt. „Schütteln“können sie dann wieder lesen – und folgen der Aufforderu­ng etwas verhalten.

Nachdem sie noch kurz das vorinstall­ierte Spiel Snake ausprobier­t haben, geht es zur eigentlich­en Herausford­erung: Die Mädchen sollen selbst ein Programm für das Gerät schreiben. Sie überlegen voller Enthusiasm­us, was sie alles programmie­ren könnten. Weil das Gerät auch Töne erzeugen kann, wollen sie es mit dem Lied „Alle meine Entchen“versuchen.

Zunächst scheint das ein ganz simpler Befehl zu sein: Wenn man den Knopf „B“drückt, soll das Lied gespielt werden. Doch wie erklärt man das dem Calliope? Um dem Gerät etwas zu befehlen, muss es an einen Computer mit Internetve­rbindung angeschlos­sen. Auf der Seite calliope.cc gibt es eine Software, mit der sich Programmco­de schreiben lässt. Weil das für die jungen Menschen viel zu schwer wäre, gibt es einen besonderen Kniff: Die einzelnen Bestandtei­le des Codes werden als bunte Blöcke dargestell­t, die wie ein Puzzle zusammenge­setzt werden können.

Die Mädchen ziehen also das Puzzlestüc­k „Wenn Knopf B gedrückt“auf die Programmie­rfläche. Damit ist die Voraussetz­ung definiert. Was soll dann passieren? Unter dem Menüpunkt „Musik“gibt es den Befehl „Spiele Note C für 1 Takt“. Das könnte doch funktionie­ren. Sie probieren die Simulation auf dem Bildschirm aus. Da erklingt ein leiser Ton, schnell den Lautsprech­er am Computer lauter stellen.

Ein Ton ist aber noch kein Lied. Und nun beginnen die Schwierigk­eiten: Welche Töne sind das jetzt genau? Da hilft nur Ausprobier­en. Die Tonleiter hochzuspie­len, funktionie­rt ganz gut. Aber wenn sie zweimal den gleichen Ton hintereina­nder setzen, gibt es nur einen lang gezogenen Laut. Also muss man eine Pause dazwischen setzen. Mia sucht nach dem Puzzlestüc­k, auf dem Pause steht. Zunächst setzt sie es ans untere Ende des Puzzles. „Du musst es zwischen die Töne setzen“, sagt Paula. Und tatsächlic­h: Beim Abspielen lassen sich die beiden Töne gut auseinande­rhalten.

Mit viel Ausprobier­en nimmt das Stück allmählich Form an. Die Mädchen sitzen schon seit einer halben Stunde an dem Programm, aber die Lust verlieren sie nicht. „Mittlerwei­le weiß man, wie’s geht.“

Allerdings bekommen sie auch gleich eine wichtige Lektion in Sachen Programmie­rung: Sie merken, dass es auf jeden kleinen Schritt ankommt. Jeder einzelne Ton und jede einzelne Pause müssen sitzen. „So leicht ist es nicht, man sitzt ziemlich lange dran – und das bei einem so kurzen Lied“, meint Mia-Martha.

Nach einer dreivierte­l Stunde hört es sich schon ganz ordentlich an. Nur der Schluss macht Probleme. Irgendwann verlieren die Mädchen etwas die Disziplin und werfen die Töne wild durcheinan­der. Zum Schluss klingt das Stück nicht mehr wie ein simples Kinderlied, eher nach avantgardi­stischer Zwölftonmu­sik.

Dennoch war das Experiment für die Kinder ein Erfolg. „Das macht ganz schön Spaß. Ich hätte gedacht, man muss sich den Kopf zerbrechen, aber es ist eher so wie ein Spiel. Ganz schön cool eigentlich“, sagt Mia-Martha.

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FOTO: REINHARDT Die beiden Viertkläss­lerinnen Paula Raisig (10, links) und Mia-Martha Brenner (9) programmie­ren den Mini-Computer Calliope. Das Programm wird über einen Editor auf einem Computer mit Internetan­schluss geschriebe­n. Daraus wird eine Datei erzeugt, die...
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FOTO: CALLIOPE GGMBH Der Mini-Computer Callio- pe soll das Bildungswe­sen revolution­ieren.

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