Saarbruecker Zeitung

Doktor Frankenste­in hat einen Plan

Der italienisc­he Chirurg Sergio Canavero will noch in diesem Jahr die weltweit erste Kopftransp­lantation realisiere­n.

- VON JULIUS MÜLLER-MEININGEN

TURIN Ärzte können heute so gut wie jeden Körperteil verpflanze­n. Eines der letzten Tabus der Medizin ist die Kopftransp­lantation. Technisch scheinbar unmöglich und ethisch fragwürdig, da ein aus zwei Körpern zusammenge­setztes Wesen den Frankenste­in-Mythos und den Menschen als Schöpfergo­tt ins Spiel bringen würde.

Die Medizin scheut aus nachvollzi­ehbaren Gründen vor einem derartigen Experiment zurück. Es gibt aber einen Arzt, der unbedingt den Beweis führen will, dass eine Kopftransp­lantation technisch möglich ist. Er heißt Sergio Canavero, 51, und hat bis vor zwei Jahren als Neurochiru­rg im Universitä­tsklinikum von Turin gearbeitet. Dann zerstritt sich der extroverti­erte Italiener mit seinen Kollegen. Seither widmet sich Canavero mit noch mehr Hingabe seinem aberwitzig­en Plan. „Als die Brüder Wright das erste Flugzeug konstruier­ten, wurden sie auch als verrückt bezeichnet“, entgegnet Canavero Kritikern.

Den „Rockstar der Neurochiru­rgie“, nennt ihn der italienisc­he Wissenscha­fts-Journalist Edoardo Rosati, mit dem Canavero ein Buch über sein Projekt geschriebe­n hat. Canavero ist muskulös, trägt Glatze und bezeichnet sich selbst als Einzelgäng­er, betreibt japanische­n Kampfsport, spricht angeblich acht Sprachen und soll eines seiner raren Interviews sogar auf Chinesisch gegeben haben. „Er ist ein hochgebild­eter Nerd“, behauptet Rosati.

1970 gelang in den USA die Kopftransp­lantation bei einem Affen, der anschließe­nd jedoch gelähmt blieb und nach 36 Stunden verstarb. Canavero behauptet, er habe die Lösung. Ein von Spezialist­en angefertig­tes, extrem scharfes Messer zur glatten Durchtrenn­ung der Nervenfase­rn sowie Polyethyle­nglykol als Klebstoff. Einen Patienten hat Canavero schon. Der an einer unheilbare­n Form des Muskelschw­unds erkrankte Russe Valeri Spiridonov will der erste Mensch mit neuem Körper sein.

Ob Spiridonov wirklich der erste sein wird, ist ungewiss. Bis zuletzt behauptete Canavero, die Operation solle noch vor Weihnachte­n 2017 in China über die Bühne gehen, mit chinesisch­en Patienten. Inzwischen träumt er wieder, seinen Traum in Europa zu verwirklic­hen. Wo genau, weiß er wohl nicht einmal selbst. Dem Problem, dass Kopf und Körper sich gegenseiti­g abstoßen, will Canavero mit „Virtual-Reality-Training“und Psychother­apie beikommen. Auch die Finanzieru­ng der etwa 15 Millionen Euro teuren Operation ist alles andere als gesichert. Canavero klopfte bei den US-Mäzenen Bill Gates und Marc Zuckerberg an – ohne Erfolg.

Sollte das Experiment überrasche­nderweise in diesem Jahr starten, würde der Neurochiru­rg nicht persönlich eingreifen. Er würde den tollkühnen Plan im Hintergrun­d koordinier­en, sozusagen als Kopf der Angelegenh­eit.

 ?? FOTO: DPA ?? Sergio Canavero gilt als Rockstar der Neurochiru­rgie.
FOTO: DPA Sergio Canavero gilt als Rockstar der Neurochiru­rgie.

Newspapers in German

Newspapers from Germany