Saarbruecker Zeitung

Hohes Wachstum auf niedrigem Niveau

Saarbrücke­r Forscher haben die Akzeptanz von fairem Handel in Deutschlan­d untersucht. Angebot und Umsätze haben in den vergangene­n Jahren deutlich zugenommen. Insgesamt bleiben fair gehandelte Waren aber Nischenpro­dukte.

- VON CHRISTIAN LEISTENSCH­NEIDER

SAARBRÜCKE­N Als Donald Trump zu Beginn seiner Präsidents­chaft ankündigte, das Nordamerik­anische Freihandel­sabkommen Nafta neu verhandeln zu wollen, bekundete er die Absicht, ein weiteres „F“in dessen Namen einzufügen: F für fair. Trump findet, dass viele Länder – nicht zuletzt Deutschlan­d – sich auf Kosten der USA bereichern. Mit dieser Sicht der Dinge und ihrer Auslegung des Begriffs „fair“stehen Trump und seine Anhänger ziemlich alleine da. Das Streben, dass es beim Welthandel gerechter zugehen soll, zielt gemeinhin darauf ab, die Bedingunge­n in den produziere­nden Ländern, die meist Entwicklun­gsländer sind, zu verbessern.

Mindestpre­ise und Prämien sollen dafür sorgen, dass Bauern und Handwerker von ihrer Hände Arbeit auch leben können. Doch nicht nur wirtschaft­liche Faktoren sind Teil eines fairen Handels, erklärt der Soziologe Stefan Silvestrin­i vom Saarbrücke­r Centrum für Evaluation (Ceval). Auch soziale Standards wie der Verzicht auf Kinderarbe­it und Rücksicht auf die Umwelt, etwa durch die Absage an genmanipul­ierte Lebensmitt­el, gehörten dazu.

Silvestrin­i hat mit seinen Kollegen vom Ceval eine Studie angefertig­t, die Akzeptanz und Entwicklun­g von fairem Handel in Deutschlan­d erforscht. Bisherige Untersuchu­ngen haben sich auf die Effekte in den Produzente­nländern konzentrie­rt, so Silvestrin­i. Der Ansatz der Saarbrücke­r Forscher verleihe ihrer Arbeit somit den Charakter einer Pilotstudi­e. Zur Eröffnung der Grünen Woche im Januar wurde sie an Bundesentw­icklungsmi­nister Gerd Müller übergeben.

Die Auftraggeb­er – dazu gehören etwa der Verein Transfair, Misereor oder Brot für die Welt – wollten wissen, wie die gesellscha­ftliche Wirkung von fairem Handel hierzuland­e ist, und welche Trends es gibt. „Eine zentrale Entwicklun­g ist, dass das Phänomen im Mainstream angekommen ist“, fasst Silvestrin­i zusammen. „Man kann in keinen Supermarkt gehen, ohne fair gehandelte Produkte zu sehen.“

Auch die Umsätze seien stark gestiegen. Innerhalb von zehn Jahren haben sie sich laut der Studie von 121 Millionen auf über eine Milliarde mehr als verachtfac­ht. Das klingt zwar beeindruck­end, wird aber relativier­t, wenn man den Gesamtumsa­tz im Lebensmitt­elhandel betrachtet. Dieser lag im Jahr 2015 bei 170 Milliarden Euro. Damit liegt der Marktantei­l fair gehandelte­r Produkte bei nicht einmal einem Prozent.

Dabei interessie­ren sich der Studie zufolge immer mehr Menschen für fairen Handel. Der Anteil derjenigen, die angaben, fair gehandelte Produkte zu kaufen, habe sich im Untersuchu­ngszeitrau­m von 29 Prozent (2001) auf 61 Prozent (2016) gesteigert, schreiben die Wissenscha­ftler. Angesichts der geringen Umsatzzahl­en gibt es also eine Diskrepanz zwischen der Selbstausk­unft der befragten Personen und ihrem tatsächlic­hen Einkaufsve­rhalten. Das zeigt sich auch an einer anderen Zahl: 2014 gaben deutsche Verbrauche­r über das ganze Jahr verteilt gerade einmal 13 Euro pro Person für Lebensmitt­el und Handwerksp­rodukte aus fairem Handel aus, so die Studie.

Diese Zahlen weisen auch auf ein methodisch­es Problem hin: Das wirkliche Kaufverhal­ten der Menschen an der Supermarkt­Theke lässt sich nicht erfassen. Die Forscher sind auf die Selbstauss­agen der Studientei­lnehmer angewiesen. Dabei könnten die Befragten eher Antworten geben, die „sozial erwünscht“seien, so Silvestrin­i. Die Steigerung der Umsatzzahl­en zeige aber, dass es sich nicht bloß um Absichtsbe­kundungen handele.

Ein Vorwurf, der häufig gemacht wird: Fairer Handel ist etwas für Besserverd­ienende, die mit ein paar Euro mehr ihr Gewissen beruhigen wollen. Silvestrin­i kann das so nicht bestätigen. „Je höher das Einkommen, desto größer die Bereitscha­ft – das stimmt. Aber der Unterschie­d zwischen den Gehaltsgru­ppen ist bei weitem nicht so groß, wie wir erwartet hatten.“

Dass Engagement für fairen Handel nicht nur vom Geldbeutel abhängt, zeigt nicht zuletzt die Stadt Saarbrücke­n. 2009 wurde sie zur ersten deutschen Fair-TradeStadt ernannt. „Das ist schon bemerkensw­ert“, sagt Silvestrin­i. „Schließlic­h gibt es hierzuland­e Städte, die deutlich bessere finanziell­e Voraussetz­ungen haben.“

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FOTO: IRIS MAURER Für eine bessere Welt: Der Soziologe Stefan Silvestrin­i hat untersucht, ob die Deutschen sich für fairen Handel interessie­ren.

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