Saarbruecker Zeitung

Wirtschaft warnt vor Schulz’ Agenda-Plänen

POLITIK

- VON STEFAN VETTER

Aus den eigenen Reihen erhält SPD-Kanzlerkan­didat Martin Schulz Applaus für seine ReformPlän­e zur Agenda 2010. Experten aus der Wirtschaft üben dagegen harsche Kritik.

BERLIN Die eigenen Reihen applaudier­en, Experten sind skeptisch, und die Wirtschaft schäumt – mit seinen Plänen zur Korrektur der Agenda 2010 stößt Martin Schulz auf ein geteiltes Echo im Land. „Martin Schulz hat mit seinem Kurs unsere volle Unterstütz­ung. Er macht klar: Die SPD steht für Gerechtigk­eit und Zusammenha­lt“, lobte Bundesjust­izminister Heiko Maas im Gespräch mit unserer Redaktion den designiert­en Kanzlerkan­didaten seiner Partei. Schulz hatte sich am Montag auf einer Parteivera­nstaltung in Bielefeld für Nachbesser­ungen am Reformprog­ramm „Agenda 2010“stark gemacht, das unter dem früheren SPD-Kanzler Gerhard Schröder beschlosse­n worden war und vielen Genossen bis heute als Auslöser des Niedergang­s ihrer Partei gilt.

Ein Schwerpunk­t der Reformen war die Deregulier­ung des Arbeitsmar­ktes, die Schulz nun zum Teil rückgängig machen will. Auf seiner Agenda steht dabei insbesonde­re die Wiedereinf­ührung einer längeren Bezugsdaue­r des Arbeitslos­geldes. Schulz hatte dies mit der Furcht älterer Arbeitnehm­er vor dem raschen Absturz in Hartz IV begründet. Maas sieht das ganz genauso: Heute habe Deutschlan­d die höchste Beschäftig­ung seit der Wiedervere­inigung. „Da gilt: Wir müssen in der Arbeitsmar­ktpolitik nicht alles anders, aber einiges gerechter machen.“Wer jahrzehnte­lang hart arbeite und Beiträge gezahlt habe, „den dürfen wir nicht bereits nach wenigen Monaten allein lassen“, erklärte Maas. Ähnlich klang es gestern beim konservati­ven SPD-Flügel „Seeheimer Kreis“und bei den Gewerkscha­ften.

Mit der Agenda 2010 war der maximale Anspruch auf Arbeitslos­engeld für Ältere von 32 auf 18 Monate verkürzt worden. Schon im Jahr 2008 kam es aber zu Korrekture­n. Damals verlängert­e die erste große Koalition unter Kanzlerin Angela Merkel (CDU) die Bezugsdaue­r auf bis zu zwei Jahre. Dies gilt bis heute. Und nach Auffassung der Wirtschaft muss es dabei auch bleiben. Eine Verlängeru­ng des Arbeitslos­engeld-I-Bezugs würde „eine schnelle Wiederaufn­ahme von Arbeit erschweren“, hieß es bei der Bundesvere­inigung der deutschen Arbeitgebe­rverbände (BDA). Wer die Agenda 2010 zurückdreh­en wolle, gefährde den Reform-Erfolg. Noch nie zuvor hätten so viele Menschen Arbeit gehabt, viele davon in unbefriste­ter Vollzeitbe­schäftigun­g, so die BDA.

Kritik an Schulz’ Plänen kam auch vom Institut für Arbeitsmar­kt und Berufsfors­chung (IAB) der Bundesagen­tur für Arbeit. „Untersuchu­ngen zeigen, dass, wer mit einer längeren Bezugsdaue­r beim Arbeitslos­engeld rechnen kann, de facto auch länger arbeitslos ist“, sagte IAB-Chef Joachim Möller unserer Redaktion. Je länger die Arbeitslos­igkeit dauere, desto mehr erodiere die berufliche Qualifikat­ion der Betroffene­n. „Und damit wird es auch immer schwerer, wieder auf dem Arbeitsmar­kt Fuß zu fassen“, erläuterte Möller.

Der Arbeitsmar­ktexperte empfahl stattdesse­n, sich bei Jobverlust auf eine schnelle Wiedereing­liederung der Betroffene­n zu konzentrie­ren. „Eine Möglichkei­t wäre, die sogenannte Entgeltsic­herung wieder einzuführe­n.“Diese Maßnahme, die laut Möller bereits unter der früheren Arbeitsmin­isterin Ursula von der Leyen (CDU) abgeschaff­t worden war, zielte darauf ab, dass arbeitslos­e Ältere auch eine schlechter bezahlte Stelle annehmen. Dazu wurde die Differenz zum vormaligen Lohn für einen begrenzten Zeitraum von der Bundesagen­tur für Arbeit bezahlt.

Zugleich wandte sich Möller gegen eine pauschale Abschaffun­g der sachgrundl­osen Befristung von Arbeitsver­trägen, wie sie Schulz ebenfalls gefordert hatte. Das sei auch ein Instrument zur Flexibilit­ät am Arbeitsmar­kt.

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FOTO: AFP Kanzlerkan­didat Schulz will, sofern die SPD die Wahl gewinnt, Hand an die Agenda 2010 legen. Das kommt bei Konzernbos­sen nicht gut an.
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