Wenn plötzlich alles dunkel wird
SERIE GESCHICHTE DER WOCHE Tobias Ebelshäuser hat ein besonderes Café in Saarbrücken besucht, bei der Menschen das Blindsein erfahren können.
BREBACH Die Tür hinter mir geht zu. Es wird stockdunkel. Zum ersten Mal fällt mir überhaupt auf, dass meine Armband-Uhr Zeiger hat, die im Dunkeln leuchten. Ich packe sie schnell in die Jackentasche. Meine Hände liegen auf den Schultern von Daniela Ringler, die uns in den nächsten dunklen Raum führen wird. Auch auf meinen Schultern liegen die Hände einer jungen Frau, und hinter ihr geht es so weiter. Zusammen bilden wir fast eine Polonaise, passend zur Fastnacht.
Daniela Ringler ist sehr schwer sehbehindert. Zusammen mit ihren drei Kollegen und Kolleginnen betreut sie das Dunkelcafé im evangelischen Gemeindezentrum in Brebach. An diesem Sonntag findet es bereits zum vierten Mal statt, mehr Termine sollen monatlich bis zum Ende des Jahres folgen. Es soll den Teilnehmern zeigen, dass die Menschen unterschiedlich „sehen“können, auch ohne die Augen, sagt Pfarrer Ladislav Jurisek.
Ich denke nach. Wann habe ich schon einmal komplette, absolute Dunkelheit erlebt? Selbst bei Nacht, im Schlafzimmer bei geschlossenen Rollläden, etwas Licht von außen kommt doch immer durch, ob vom Mondlicht oder Straßenlaternen. Sei es ein blinkendes Handy oder nur eine Standby-Leuchte vom Fernseher, Restlicht gibt es immer irgendwie. Doch hier, nichts. Einfach absolute, schwarze Dunkelheit.
Das geht mir durch den Kopf, als Daniela, die fast vollständig blind ist, uns in das Dunkelcafé hereinführt. Sie führt mich zu meinem Stuhl. Direkt merke ich, dass die Augen diese Situation nicht gewöhnt sind. Sie versuchen zwanghaft sich der Dunkelheit anzupassen, um irgendwie ein klein wenig Rest-Licht wahrzunehmen. Und ich fange an Dinge zu sehen, Muster, bunte Streifen. Einzelne helle Punkte, bei denen ich mich frage, ob sie echt oder nur Einbildung sind.
Und ich fange mich an zu fragen: Wie groß ist der Raum eigentlich? Wie sieht er aus? Dinge, die ich normal nicht besonders beachten würde, und die mich jetzt beschäftigen. Also beschließe ich aufzustehen, und alleine zu versuchen, den Raum zu erkunden. Und es ist ein seltsames Gefühl, nicht zu sehen, wo ich hinlaufe und ob dort ein Hindernis im Weg steht. Mit den Armen ausgestreckt vor Gesicht und Bauch, laufe ich mit ganz kleinen Schritten durch die Dunkelheit. Doch trotz aller Vorsicht, meine Knie stoße ich mir trotzdem an den umherstehenden Stühlen. Günther Sellfrank fängt mich ab, und zeigt mir, wie man mit einem Blindenstock läuft. Nach ein paar Versuchen bleiben auch meine Knie verschont.
Ansonsten ist es eigentlich ein ganz normales Café. Es gibt Kaffee, Tee und kalte Getränke. Und, ganz im Sinne der Fastnacht, gefüllte Berliner. Der blinde Organist der Kirche, Thomas Pracht, hält sogar eine kleine Büttenrede, die er in Blindenschrift vom Papier abliest. „Es ist einfach zu dunkel hier drin“, witzelt er, als er ein Blatt fallen lässt und danach sucht.
Dann fällt mir ein, dass ich ja auch bezahlen muss. Wie finde ich denn den richtigen Geldschein? Ich weiß zwar um die Rillen am Rand von Geldstücken, aber auch die kann ich nicht wirklich unterscheiden. „Da sind so Rillen am Rand vom Schein. Wenn die da keine Unterbrechung haben, dann ist das ein Fünfer“, unterstützt mich meine Sitznachbarin.
Das Konzept des Ganzen bleibt jedoch irgendwie schwer zu begreifen. Das Leben ohne den Sehsinn. Was für uns ein Experiment ist, ist für andere Alltag. Dennoch ist dieser Alltag teilweise ganz gewöhnlich. Für Günther Sellfrank zum Beispiel. Obwohl er vollständig erblindet ist, hat er hat sogar ein Pay-TV Abonnement, und die gleiche Lieblingsserie wie ich. Er konzentriere sich dabei eben mehr aufs Hören.
Nach etwas mehr als einer Stunde öffnet das Café seine Türen wieder, ein wenig Licht fällt hinein. Die Augen sind vollständig an die Dunkelheit gewohnt, jedes kleine Licht wirkt zu hell und sorgt dafür, dass ich die Augen zusammenkneife.
„Da sind so Rillen am Rand vom Schein. Wenn
die da keine Unterbrechung haben, dann ist das ein Fünfer."
Eines bleibt mir beim Herausgehen allerdings im Kopf. Eine meiner Sitznachbarinnen sagte, wie seltsam sie es doch finde, nicht zu sehen, was sie eigentlich trinke. Und mir wird klar, dass blind sein heißt, auch zu vertrauen heißt. Man ist darauf angewiesen auf Andere zu vertrauen, auf seine restlichen, noch funktionierenden Sinne oder auch zum Beispiel auf einen Blindenhund, der einen führt. Und ich bin dankbar dafür, dass ich noch meinen eigenen Augen vertrauen kann.