Saarbruecker Zeitung

Fürsorge im Fünf-Minuten-Takt

REPORTAGE DER WOCHE ESSEN AUF RÄDERN Die Fahrer des Roten Kreuzes bringen nicht nur warmes Essen. Sie bieten auch ein Stück Sicherheit.

- VON UTE KIRCH

SAARWELLIN­GEN Die weiße Spitzengar­dine wackelt, hinter den roten Blümchen auf der Fensterban­k bewegt sich jemand. „Wir werden bereits erwartet“, sagt Annemarie Folz und parkt den Berlingo am Bordsteinr­and. Aus dem Kofferraum holt sie aus einem Fach des mobilen Ofens eine Menüschale aus weißem Plastik und packt sie in eine Styroporbo­x. Die Haustür ist bereits geöffnet, ein Lächeln breitet sich über das von Falten zerfurchte Gesicht von Maria S. (Namen aller Kunden geändert) aus. Die Freude über den Besuch ist groß, die Portion „Ente in süß-saurer Soße“, deren Duft sich durch die Verpackung drängt, ist in diesem Moment Nebensache. „Es schmeckt“, lobt die Seniorin. Selber kochen und einkaufen kann sie nicht mehr.

Seit fast sechs Jahren liefert Annemarie Folz für den Kreisverba­nd Saarlouis des Deutschen Roten Kreuzes (DRK) das Essen aus. Sie weiß, dass sie für manche Kunden heute die einzige Gesprächsp­artnerin sein wird. „Gerade bei langjährig­en Kunden bekommt man die Schicksals­schläge mit. Wenn da einer vor mir in Tränen ausbricht, bleibe ich natürlich und höre zu. Ich kann den Menschen dann doch nicht alleine lassen!“, sagt die 56-Jährige. Anderen reicht es wiederum, wenn sie das Essen in die Box vor der Haustür legt.

Ausgelasse­ne Stimmung herrscht einige Stationen später bei Karin Schneider in Saarbrücke­n. Mit drei Freundinne­n hält die 77-Jährige ein Kaffeekrän­zchen. Das Essen – gewählt hat sie für heute den Quark-Gries-Auflauf – gibt es später. „Das Essen hat jetzt eine Temperatur von 75 Grad Celsius, in der Box hält es sich noch gut drei Stunden warm“, sagt Folz.

Rund 350 Mahlzeiten liefern die zehn Fahrer des DRK täglich von der Geschäftss­telle in Saarwellin­gen aus – bis nach Beckingen im Norden und Saarbrücke­n im Süden. Ab 7.45 Uhr haben Michael Drechsler und Fridolin Wolf die Lieferwage­n mit den Menüs bestückt. Besonders beliebt ist an diesem Tag die Jägerfrika­delle mit Champignon­soße. Dabei ist höchste Konzentrat­ion gefragt, betonen die Männer – denn täglich können die Kunden aus vier Gerichten auswählen, hinzu kommen Beilagen wie Suppe und Nachtisch. Das alles muss in der richtigen Reihenfolg­e in den mobilen Öfen verstaut werden. Wöchentlic­h liefert eine Firma aus Nordrhein-Westfalen die Menüs. Bis zur Auslieferu­ng lagern die Speisen bei minus 18 Grad Celsius in einem Kühlhaus. Bis vor zehn Jahren hat der DRK-Kreisverba­nd das Essen aus einer Krankenhau­s-Großküche bezogen. Doch nach teils weiten Lieferwege­n habe es Probleme mit der Temperatur gegeben und auch mit der Qualität. „Ein Brokkoli, der zweieinhal­b Stunden alt ist, schmeckt nicht mehr frisch“, sagt DRK-Kreisgesch­äftsführer Aljoscha Struck.

Als erste Einrichtun­g in Deutschlan­d – und bisher einzigen im Saarland – habe das DRK daher auf das Modell mit den in Lieferauto­s integriert­en Öfen, den Konvektoma­ten, umgestellt. „Das Essen, das wir geliefert bekommen, ist zu 80 Prozent vorgekocht, im Fahrzeug erreicht es dann 100 Prozent und wird dort warm gehalten“, erklärt Struck.

Zwischen 6,05 Euro für das MiniMenü bis zu 7,95 Euro für das Menü Feinschmec­ker reichen die Preise pro Mahlzeit, die auch am Wochenende heiß bis an die Wohnungstü­r geliefert wird – frühestens um 10, spätestens um 13 Uhr. Doch nicht jeder kann sich den Service leisten, das wissen auch Struck und die Leiterin des Menüservic­es, Eva Hiry. „Haben vor zehn Jahren die meisten Kunden noch für die komplette Woche Menüs bestellt, erleben wir nun häufig, dass nur an drei oder vier Tagen pro Woche bestellt wird“, sagt Hiry. Sie vermutet, dass manche Kunden um zu sparen, sich eine Portion über zwei Tage aufteilen. Etwas günstiger ist das Tiefkühl-Angebot, bei dem die Mahlzeiten aus einem Katalog mit 150 Gerichten ausgewählt werden können. Die Menüs zum Erhitzen im Backofen oder in der Mikrowelle werden einmal pro Woche geliefert.

Empathie braucht Annemarie Folz für ihren Beruf, ein Navigation­sgerät hingegen nicht. Seit drei Jahren fährt sie die gleiche Route, durch die Saarbrücke­r Innenstadt, Wallerfang­en und Saarlouis-Beaumarais. Gut hundert Kilometer täglich. Dort, wo in anderen Autos der kleine Lotse hängt, ist im Lieferwage­n eine Anzeige, wie die Temperatur in den Öfen ist. „Ready to deliver“(„Fertig zum Ausliefern“), tönt es aus der Box – Signal dafür, dass die Menüs für Saarbrücke­n gar sind. Ofen Nummer zwei schaltet sich per Zeitschalt­uhr später an, rechtzeiti­g, damit das Essen 50 Minuten später für die Kunden

in Wallerfang­en fertig ist.

Manchmal muss sie lange warten, bis ihr geöffnet wird. Doch als auch nach dem fünften Klingeln niemand öffnet, greift Annemarie Folz zum Telefon. Die Frau ist zuhause – hatte aber die Klingel nicht gehört. Die Kunden seien insgesamt älter und gebrechlic­her geworden. Auch immer mehr Demenzkran­ke seien dabei. „In letzter Zeit müssen unsere Fahrer oft Erste Hilfe leisten, etwa weil ein Kunde gefallen ist“, sagt Eva Hiry. „Viele Angehörige sind auch dankbar

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FOTOS: ROLF RUPPENTHAL Annemarie Folz vom Roten Kreuz bringt Karin Schneider in Saarbrücke­n in einer Wärmebox ihr Mittagesse­n direkt bis in die Küche.
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Frühmorgen­s bestückt Michael Drechsler die mobilen Öfen in den Fahrzeugen. Dort wird das Essen dann fertig gegart und erhitzt.

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