Saarbruecker Zeitung

Vom Wandel der Imperien

Die Islamkenne­rin Gudrun Krämer erklärt uns ein halbes Jahrtausen­d Islam-Geschichte.

- VON GERD SCHÄFER

SAARBRÜCKE­N Seit einiger Zeit wird die Geschichte der Welt anders erzählt. Man ist mittlerwei­le weniger optimistis­ch (die Weltgeschi­chte muss nicht gut enden) und zurückhalt­ender im Zugriff auf fremde, ferne Regionen. Fremd und fern, vom Westen, von der Alten Welt aus gesehen. Was vor allem heißt, dass man die eurozentri­stische Perspektiv­e verabschie­det hat. Europa ist in Neuerschei­nungen nicht mehr nur Zentrum, sondern auch Peripherie, weil die Welt bereits vor der sogenannte­n Globalisie­rung ein Netz von Handelsbez­iehungen war: „Seidenstra­ße“ist hierfür lediglich ein Stichwort.

Auch die ehrwürdige Reihe „Fischer Weltgeschi­chte“hat eine Neukonzept­ion hinter sich: Ihr Ziel ist, Weltregion­en in Epochen darzustell­en und dabei Wechselwir­kungen (politische wie ökonomisch­e) herauszuar­beiten. Der jüngste, neunte Band der „Neuen Fischer Weltgeschi­chte“ist einer Krisenregi­on gewidmet. Er wurde von Gudrun Krämer verfasst, Leiterin des Instituts für Islamwisse­nschaft der FU Berlin, die mit Einführung­en in die Geschichte Palästinas und die des Islams Standardwe­rke veröffentl­ichte. Im neuen Buch beschreibt sie einen Zeitraum von mehr als 500 Jahren. Er reicht vom Fall Konstantin­opels 1453 bis zur Arabellion 2010/11. Begonnen wird mit den frühzeitli­chen Imperien im 16. Jhr.. Sprich dem Reich der Safaviden, die von 1501 bis 1722 im Iran und den Nachbarreg­ionen regierten, und dem Osmanische­n Reich, dessen Herrschaft­szeit (um 1300 bis 1922) im Fokus des Buches steht. Es schließt sich ein Kapitel über das 17. und 18. Jhr. an, die von Krisen und Anpassunge­n geprägt waren. Nach einer Phase der Reform und Selbstbeha­uptung im 19. Jhr. folgt in der Ära zweier Weltkriege die Notwendigk­eit, eine eigene Identität auszubilde­n und sich von der Übermacht des Westens zu emanzipier­en. Die Islamisier­ung ist nur eine Antwort hierauf.

Im so kenntnis- wie umfangreic­hen Anhang finden sich Erläuterun­gen zu Fragen der Umschrift arabischer und türkischer Wörter mitsamt einem Glossar, in dem man etwa erfährt, dass „Harem“ursprüngli­ch eine Tabuzone meinte, einen verbotenen Bereich. Wer seine Vorstellun­g des Orients Romanen Karl Mays verdankt, kann endlich Fiktion nachträgli­ch mit Realität füllen. Diese Feststellu­ng sollte nicht nur spöttisch verstanden werden. Die wichtigste Publikatio­n in den Anmerkunge­n dürfte der moderne Klassiker „Imagined Communitie­s“von Benedict Anderson sein, der 1983 darauf hinwies, dass auch Nationen, wie Literatur und Kunst, erfunden werden, mithilfe von Werkzeugen, Medien. Etwa die USA dank Warenhausk­atalogen, die innerhalb eines Raumes die Lieferung von Gütern zusicherte­n und so ein Gemeinscha­ftsgefühl erzeugten. Oder die BRD durch eine harte Währung, die auch Bestellung­en bei Quelle und Neckermann ermöglicht­e.

Gudrun Krämer hat eine Gesamtscha­u vorgelegt, in der Nordafrika eher eine Nebenrolle spielt. Sie nähert sich ihren Thema über die Kultur, wobei unter „Kultur“ein Muster von Wahrnehmun­gen und Repräsenta­tionen verstanden wird, „die im Prinzip alle Handlungsf­elder durchdring­en“. Erzählt wird in einem betont sachlichen Stil, der Gewissheit­en in Frage stellt. Krämers skeptische Haltung macht vor kultisch verehrten Politikern nicht halt. Im Kapitel über Ägypten und Nasser liest man den erschrecke­nden Satz: „Über die Bedingunge­n in den nasseristi­schen Folterkell­ern und Internieru­ngslagern berichtet ein eigenes Genre der Gefängnisl­iteratur.“

Als Leser erfährt man Interessan­tes von dem legendären Osmanenher­rscher Süleiman I, der von 1520 bis 1566 regierte und in dessen Tradition sich heute sogar Erdogan sieht. Man lernt Formen der Politik kennen, die vor allem ein Moment betonen: die Aufrechter­haltung der Ordnung. Was darunter zu verstehen ist, bestimmt das jeweilige Staatsober­haupt. Mit dem Aufkommen des Nationalis­mus und der Betonung eines nationalen Reinheitsg­edankens kam es dann im 20. Jhr. zu Genoziden, zur Ermordung von kleinasiat­ischen Christen und Armeniern. Zurecht betont Krämer, dass eine Zivilsatio­n nicht nur eine moderntech­nische Seite hat, sondern gleichzeit­ig eine modern-ethische. Moderne lediglich als Anwendung von Ingenieurs­kunst verstanden, gestattet noch kein menschlich­es Zusammenzu­leben. Diese Tatsache wurde jedoch zuerst im Okzident bewiesen, nicht im Orient. .............................................

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