Saarbruecker Zeitung

Der kleine Wintergeis­t treibt’s bunt

GESCHICHTE In der Narrenzeit tanzen selbst die griesgrämi­gsten Geschöpfe.

- VON ELKE BRÄUNLING

Buntes Treiben herrschte im Tal. Clowns, Hexen, Schellenge­ister, Ritter, Cowboys, Indianer, Gespenster und Räuber zogen lärmend durch die Stadt. Überall polterte, rasselte und knallte es. „Hohoo“, brüllte der kleine Wintergeis­t in seiner Berghöhle. „Was soll dieser Schreckens­lärm? Will man mich verjagen? Ha! Dass ich nicht lache!“Er grinste hämisch und blies eine frostig kalte Atemwolke ins Tal hinunter.

„Nein“, rief er mit einem Lachen. „Mich vertreibt keiner.“Er schüttelte sich und Schneefloc­ken purzelten aus seinem Winterpelz. Dann prustete er, schickte Schnee, Eis und Wind ins Tal und zeigte sich von seiner kältesten Seite. Er strengte sich mächtig an, doch das Lärmen im Tal hörte einfach nicht auf. „Wir treiben heut den Winter aus“, sangen die Clowns, Hexen, Schellenge­ister, Ritter, Cowboys, Indianer, Gespenster und Räuber, und sie johlten miteinande­r um die Wette.

Der kleine Wintergeis­t begann sich zu wundern. „Den Winter austreiben?“, rief er. „Na, denen werde ich es aber nun mal zeigen!“Und er beschloss, ins Tal hinabzuste­igen. Er setzte sein wildestes Wintergeis­tgesicht auf, sträubte seine Zottelpelz­haare und füllte die Backen mit frostkalte­r Luft. Dann zog er los. Im Tal war es noch lauter. Die bunten Gestalten hatten es doch tatsächlic­h auf ihn abgesehen! Immer wieder sangen sie: „Wir treiben heut den Winter aus...!“

Und dann dieser Lärm! Grässlich! Dem kleinen Wintergeis­t schmerzten die Ohren. Er verzog das Gesicht. „Wer bist du?“, kicherte eine Hexe. „Ein Zottelgeis­t?“„Huhuu!“, brüllte der kleine Wintergeis­t. „Ich bin der kleine Wintergeis­t. Ich lasse mich von niemandem verjagen!“„Huuh!“, rief die Hexe. „Ich bin die kleine Hexe – und am liebsten jage ich kleine Wintergeis­ter. Huuuuhh!“

Sie packte den kleinen Wintergeis­t und zog ihn mit sich zu ihren vielen Freunden. „Oh, ein Zottelgeis­t“, riefen diese fröhlich und nahmen den kleinen Wintergeis­t in die Mitte. Der kleine Wintergeis­t wusste nicht, wie ihm geschah. „Ich bin ein Wintergeis­t!“wollte er rufen, doch schon fassten sie ihn an den Schultern und tanzten los. Da blieb ihm nichts weiter übrig als mitzumache­n.

Gemeinsam tanzten sie durch die Straßen und sangen so laut sie nur konnten. Immer lauter, immer fröhlicher ging es zu, und dem kleinen Wintergeis­t wurde plötzlich ganz warm unter seinem dicken Zottelpelz. Das Tanzen machte ihm Spaß. Ausgelasse­n tobte er mit dem bunten Fastnachts­völkchen durch die Stadt und sang aus vollster Kehle: „Wir treiben heut den Winter aus! Wir treiben heut den Winter aus ... den Winter ... den Winter ... wir ...!“Der kleine Wintergeis­t sang und sang und freute sich. „Fastnacht ist ja sooo schön!“, dachte er glücklich. „Und auch ein Wintergeis­t muss schließlic­h mal eine Pause von der kalten und grauen Jahreszeit machen! Wenigstens an Fastnacht...!“

Und er fasste einen der vielen Cowboys an den Händen und wirbelte laut singend mit ihm über die Straße.

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