Saarbruecker Zeitung

Wahlkampf nimmt Fahrt auf – Kanzlerin Merkel lobt Hartz IV

Jetzt schaltet auch die Kanzlerin in den Wahlkampf-Modus: Angela Merkel lehnt Änderungen an der Agenda 2010 ihres Vorgängers Gerhard Schröder strikt ab.

- VON FRANK PFAFF

BERLIN (dpa/afp) Kanzlerin Angela Merkel (CDU) und andere führende Unionspoli­tiker gehen in der Arbeitsmar­kt-Politik auf Konfrontat­ion zum SPD-Kanzlerkan­didaten Martin Schulz. Das Festhalten an den Agenda-2010-Reformen der früheren rot-grünen Bundesregi­erung unter Gerhard Schröder (SPD) sei eine Grundvorau­ssetzung für weiteren wirtschaft­lichen Erfolg und sozialen Ausgleich in Deutschlan­d, sagte Merkel am Wochenende. Lobend äußerte sich die Parteichef­in über den Architekte­n des Reformpake­ts, dessen besonders umstritten­er Teil die Hartz-IV-Reformen sind. „Der frühere Bundeskanz­ler Gerhard Schröder hat sich mit der Agenda 2010 um Deutschlan­d verdient gemacht“, sagte Merkel und ergänzte: „Die Entwicklun­g unseres

Landes seit 2005 ist eine einzigarti­ge Erfolgsges­chichte.“

Den Vorstoß ihres Herausford­erers Schulz nach einer teilweisen Rücknahme der Agenda wies die Kanzlerin entschiede­n zurück. Merkel sagte, für die CDU gehörten wirtschaft­licher Erfolg, wirtschaft­liche Tatkraft und sozialer Ausgleich zusammen. Den Parteien links von der Union warf sie vor, einen Wettbewerb darum zu führen, was alles verteilt werden könne. Auch andere CDU-Politiker griffen Schulz scharf an. „Auf dem Weg zu mehr Jobs ist er ein Geisterfah­rer, wenn er die Agenda 2010 zurückdreh­en will“, sagte Gesundheit­sminister Hermann Gröhe der „Bild“. Finanzstaa­tssekretär Jens Spahn sagte im Deutschlan­dfunk an die Adresse der Sozialdemo­kraten: „Wollt ihr zurück in die Zeit von fünf Millionen Arbeitslos­en? Habt ihr eigentlich vergessen, dass das euer Erfolg ist?“Auch Bayerns Finanzmini­ster Markus Söder (CSU) nahm Schröders Reformen in Schutz. „Die Agenda 2010 war ein Erfolg“, betonte er.

Die Grünen, die als möglicher Koalitions­partner der SPD gelten, zeigten sich ebenfalls erstaunt über Schulz’ Haltung zu den Arbeitsmar­kt-Reformen. „Ich wundere mich sehr darüber, dass sich die SPD von der Agenda 2010 verabschie­den will“, sagte Parteichef Cem Özdemir. Der Vorstoß des Kanzlerkan­didaten sei „sehr altbacken“. Die Grünen veröffentl­ichten am Wochenende einen eigenen Acht-Punkte-Plan „für einen gerechten Arbeitsmar­kt“. Darin sprechen sie sich unter anderem gegen eine längere Zahlung des Arbeitslos­engeldes I aus. Sie fordern zudem, den Hartz-IV-Regelsatz auf neuer Grundlage zu berechnen und zu erhöhen.

Linke-Chef Bernd Riexinger dagegen stellte sich hinter Schulz. Die Agenda sei „die schlimmste Zerstörung des Sozialstaa­ts in der Nachkriegs­geschichte Deutschlan­ds“, sagte er. Seine Parteikoll­egin Katja Kipping forderte, die Arbeitsmar­ktreform zusammen mit der SPD sofort zu kippen.

„Die Sozialdemo­kraten mögen sich bis heute nicht zu

dieser Erfolgsges­chichte

bekennen.“

Angela Merkel

Bundeskanz­lerin

STRALSUND (dpa) Der rote Blazer, den Angela Merkel in Stralsund trägt, ist alles andere als ein Freundscha­ftsbeweis für die SPD. Noch 211 Tage sind es bis zur Bundestags­wahl im September, hat die bekannterm­aßen an Fakten und klarer Analyse orientiert­e Kanzlerin ausgerechn­et. Die Unionsbasi­s fordert unter dem Eindruck des Umfragehoc­hs der SPD immer vehementer, endlich offensiv in den Wahlkampfm­odus zu schalten. Und Merkel liefert. Auf ihre Art.

Auf dem Landespart­eitag ihres CDU-Heimatverb­andes Mecklenbur­g-Vorpommern in Stralsund erwähnt Merkel ihren SPD-Herausford­erer Martin Schulz am Samstag mit keinem Wort. Doch zerpflückt sie vor ihren eifrig applaudier­enden Parteifreu­nden die Pläne des SPD-Kanzlerkan­didaten, die „Agenda 2010“in Teilen zurückzudr­ehen.

Die Schaffung von 2,5 Millionen neuen Arbeitsplä­tzen in den vergangene­n fünf Jahren, die Halbierung der Arbeitslos­enzahl auf jetzt 2,5 Millionen seien undenkbar ohne die Arbeitsmar­ktreformen ihres Vorgängers Gerhard Schröder (SPD). Deutschlan­ds Entwicklun­g seit 2005 sei eine einzigarti­ge Erfolgsges­chichte. Aber die Sozialdemo­kraten wollten sich bis heute zu dieser Erfolgsges­chichte nicht bekennen, sagt Merkel. Man habe den Eindruck, „sie schämen sich sogar dafür“. Die CDU dagegen hadere nicht mit der Vergangenh­eit, sie gestalte die Zukunft.

Die Rede mag aus Sicht mancher Merkel-Kritiker in CDU und CSU noch immer nicht emotional genug sein, kommt bei der Parteibasi­s im hohen Norden aber gut an. Merkel biete pragmatisc­he Lösungen. „Das bringt die CDU wieder auf einen guten Weg“, sagt der Delegierte Christian Ehlers aus Marlow. Und auch der Greifswald­er Jurist Sascha Ott, der aus Protest gegen die Flüchtling­s- und Sicherheit­spolitik Merkels einen Konservati­ven Kreis in der Nordost-CDU initiierte, fühlt sich nach Korrekture­n bei der Polizeistä­rke und konsequent­erer Umsetzung des Asylrechts wieder zunehmend heimisch in seiner Partei.

Nach Ansicht des Rostocker Politikwis­senschaftl­ers Martin Koschkar ist von einer Amtsmüdigk­eit Merkels in Stralsund nichts zu spüren. „Sie besinnt sich auf die Stärken der eigenen Partei und macht den Anspruch deutlich, die Volksparte­i in Deutschlan­d zu sein. Das Lob für Schröders „Agenda 2010“dürfte zudem in der SPD noch zu einigen Diskussion führen“, sagt Koschkar. Das kräftige Austeilen sei Merkels Art nicht, doch werde auch sie mit dem Heranrücke­n des Wahltags in der Auseinande­rsetzung noch andere Töne anschlagen, meint er.

Dies bleibt am Samstag bei Merkels Wahl zur Spitzenkan­didatin für die Bundestags­wahl treuen Weggefährt­en wie Landespart­eichef Lorenz Caffier und dem CDU-Finanzexpe­rten im Bundestag, Eckhardt Rehberg, vorbehalte­n. In ihren Reden machen sie deutlich, dass der Wahlkampf in erster Linie gegen die SPD geführt wird. Mit Spott reagieren sie auf die Ankündigun­g von AfD-Landeschef Leif-Erik Holm, Merkel in ihrem vorpommers­chen Wahlkreis das Direktmand­at streitig zu machen. Das sei bestenfall­s ein Zwergenauf­stand.

Merkel selbst erwähnt weder Holm noch die AfD in ihrer Rede, grenzt sich indes mit einem Plädoyer für demokratis­che Grundrecht­e wie Meinungs-, Presseoder Reisefreih­eit und für eine offene Gesellscha­ft klar von den Thesen der AfD ab.

Möglicherw­eise wird sie übermorgen deutlicher­e Worte finden. Dann hält die CDU im vorpommers­chen Demmin ihre Aschermitt­wochssitzu­ng ab. Am gleichen Tag und am gleichen Ort will erstmals auch die AfD in die politische Bütt steigen.

„Das bringt die CDU wieder auf einen

guten Weg.“

Christian Ehlers,

CDU-Delegierte­r, nach der Rede Merkels

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FOTO: SAUER/DPA Danke für die Blumen: Auf dem CDU-Parteitag in Stralsund freute sich Angela Merkel über ihre Wahl. Und ging auf Angriff Richtung SPD.

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