Ziemlich graue Gesichter bei den Grünen
ANALYSE Die Öko-Partei leidet unter dem „Schulz-Effekt“: Die Umfragewerte sind mau, und die Strategie für den Bundestagswahlkampf gerät ins Rutschen.
BERLIN Neue Gesichter können Wunder wirken. Bei der SPD und Martin Schulz lässt sich das gerade besichtigen, bei den Grünen ist es genau andersherum. Bei der jüngsten Urwahl ihrer Spitzenkandidaten verpasste SchleswigHolsteins Agrarminister Robert Habeck den Sieg nur um 75 Stimmen. Hätte die Parteibasis ihm den Vorzug vor Cem Özdemir gegeben, dann stünden die Grünen in den Umfragen womöglich nicht derart mies da. Habeck „hätte das etwas abgefedert“, heißt es in der grünen Bundestagsfraktion.
Im Vergleich zu Schulz wirken die beiden Wahlkampfspitzen Özdemir und Katrin-Göring Eckardt ziemlich angestaubt. Schließlich zählen sie schon seit rund zwei Jahrzehnten zum bundespolitischen Inventar. Da nützt es auch wenig, dass der Schwabe den jüngsten Vorstoß des SPD-Kandidaten zur Agenda 2010 als „sehr altbacken“tituliert. Tatsächlich bringt Schulz die ganze schöne Strategie ins Wanken, die sich die grüne Chefetage für den Bundestagswahlkampf zurechtgelegt hat.
Im Mittelpunkt sollte einmal mehr die soziale Gerechtigkeit stehen. Beim Bundesparteitag im November hatte man sich die Köpfe heiß geredet über eine Wiedereinführung der Vermögensteuer und die Ausweitung der Erbschaftsteuer. Doch nun, da Schulz die SPD wieder zum sozialen Gewissen der Nation stilisiert, wird die Luft für die Grünen bei diesem Thema dünn. Also richtet sich das Augenmerk stärker auf die Wurzeln der Partei – Umwelt, Klimaschutz und Bürgerrechte. „Ökologie kommt bei Schulz gar nicht vor“, sagt einer vom linken Flügel. „Da ist viel Raum für uns.“
Auch in der Sicherheitsdebatte sieht man Chancen: Wenn die Mehrheit der Bürger eine härtere Asylpolitik wolle, müssten sich die Grünen eben um die anderen kümmern, die das ablehnen. Mit einer solchen Strategie würden allerdings wohl auch potenzielle Wechselwähler verloren gegeben. Vom offiziell ausgegebenen Ziel, am Wahltag im September „deutlich zweistellig“zu werden, hätte sich die Partei dann verabschiedet. Schon vor vier Jahren fuhren die Grünen magere 8,4 Prozent ein, aktuell ist der Zuspruch eher noch geringer.
Dabei könnte die Öko-Partei mit einem ähnlichen Ergebnis wie 2013 sogar noch zufrieden sein, falls sich der Wahlkampf zum Duell zwischen Martin Schulz und Angela Merkel entwickelt. Dann hätten es alle kleinen Parteien schwer, Linke und AfD inklusive. Die Grünen allerdings auch deshalb, weil sie – als gebrannte Kinder – eine klare Koalitionsaussage vermeiden wollen. Sowohl 2009 als auch 2013 hatten sie sich im Wahlkampf offen den Sozialdemokraten angedient. Am Ende blieb Rot-Grün stets eine Fata Morgana. Auch wenn Göring-Eckardt neuerdings wieder eine „größere Übereinstimmung“mit der SPD herausstellt und Özdemir an den „politischen Aufbruch“erinnert, der einst von Rot-Grün ausgegangen sei – verbunden werden die beiden Realos eher mit einer schwarz-grünen Option.
Die Stunde der Wahrheit schlägt schon am 26. März, dann wird im Saarland neu gewählt. Die Grünen waren hier schon vor fünf Jahren mit einem Stimmenanteil von fünf Prozent gerade noch so ins Parlament gerutscht. Auch in Nordrhein-Westfalen, wo am 14. Mai Landtagswahl ist, drohen der Öko-Partei womöglich Verluste wegen des Schulz-Effekts. Eine Woche zuvor, am 7. Mai, ruft Schleswig-Holstein seine Bürger an die Urnen. Und im hohen Norden verheißen die Umfragen sogar einen grünen Zuwachs. Aber dort kann die Partei ja auch mit Robert Habeck werben.
Das bereits offiziell ausgegebene Ziel der Partei heißt, am Wahltag im September „deutlich zweistellig" zu werden.