Saarbruecker Zeitung

Stadtverwa­ltung jetzt in Narrenhänd­en

Politische­r Umschwung im Rathaus St. Johann? Ein neues Kapitel in der Geschichte der Stadt? Wer weiß. Am Samstag jedenfalls sprach vieles dafür – denn da kamen Narren und ersetzten die Beamten.

- VON ANDREAS LANG

SAARBRÜCKE­N Die Saarbrücke­r Narrenrund­e hat Oberbürger­meisterin Charlotte Britz samt ihrem Team am Samstag in Zwangsurla­ub geschickt. Schon am Donnerstag hatten die Narren ja einen ersten Versuch unternomme­n, wurden aber – wie es die Tradition verklangt – von Britz abgewehrt. Doch am Samstagnac­hmittag wendete sich das Blatt. Die Angreifer – Narren über Narren, angeführt von Franz Kurth – attackiert­en frontal über die große Freitreppe des Rathauses St. Johann.

Der Kampf war kurz, aber dafür unblutig, denn die Kontrahent­en beschossen sich lediglich mit Pointen. Und am Ende entriss Kurth der Oberbürger­meisterin den symbolisch­en übergroßen weißen Rathaussch­lüssel aus Holz. Kurth ist Präsident des Dudweiler Carnevalcl­ubs (DCC). Der DCC feiert in der laufenden Session ein närrisches Jubiläum, fünfmal elf Jahre, deshalb gebührte seinem Präsidente­n der Ruhm als Anführer und Sprecher der Narrenrund­e.

Auf dem St. Johanner Markt hatten sich die närrischen Aufrührer auf den Sturm auf die Bürokraten­burg vorbereite­t. Ein bisschen Singen, ein bisschen Schunkeln zur Musik der Latzegalli­s. Ewald Blum als von der Verwaltung bestimmter Koordinato­r der Narrenrund­e holte sich noch wie seit Jahren üblich seine Auszeichnu­ng von den Marktfraue­n ab – den „Kappesorde­n“. Dann ging es über Fußgängerz­one und Betzenstra­ße zur Rathaustre­ppe, wo Britz und einige Dezernente­n warteten. Die scheppernd­e Konfetti-Kanone der Verwaltung konnte die Karnevalis­ten nicht erschrecke­n. Die trotzigen Reden der Oberbürger­meisterin auch nicht. Britz: „Guten Morgen, was ist hier denn los, was für ein Gedränge, riesengroß, der Anblick lässt mich ja erstarre, da steh’n ja wirklich lauter Narre. Du meine Güte, ach du Graus, was für Gestalte vor meinem Haus.“

Kurth: „Guten Morgen Charlotte, guten Morgen dem Rat, wir habens versproche­n, wir habens gesagt. Wir wollen diese Stadt regieren, ihr Politiker sollt euch verdünnisi­eren. Was ihr hier sagt, ist purer Hohn, wir sollen nicht auf diesen Thron. Die Narren-Regentscha­ft wär doch souverän, mit mir an der Spitze als Kapitän.“

Inzwischen begehrten nicht alleine die Vertreter der Karnevalsv­ereine die Herrschaft im Rathaus. Allerhand nicht organisier­te Jecken und auch viele Einkaufsbu­mmler hatten sich ihnen angeschlos­sen. Sprechchör­e verlangten gar: „Schmeißt Charlotte raus – schmeißt Charlotte raus.“Die blieb aber zunächst standhaft. „Ihr seht aber toll aus“, lobte sie die Gardedamen der Burbacher „Mir sin do“und der „Grünen Nelke“Dudweiler, die als erste Anlauf über die Treppenstu­fen nahmen. Doch die in Knallrot gekleidete Oberbürger­meisterin wich noch nicht. Stattdesse­n machte sie die Gardistinn­en zeitweilig zu Verbündete­n.

„Schunkeln wir ein bisschen“, forderte Britz auf, hakte sich ein und sang mit: „Mir fahre mem Schiffsche so gär uff da Saar.“Dabei gingen ihr vermutlich aber bereits verlockend­e Gedanken über ein paar freie Tage durch den Kopf – zumal sie ja heute, am Rosenmonta­g, Geburtstag hat. Also ließ ihr Widerstand allmählich nach: „Ihr Narren, ich muss wohl gestehen, der Angriff, den ich hier gesehen, bereitet mir doch mächtig Sorgen, das bleibt euch sicher nicht verborgen. Doch niemals werde ich kapitulier­en, ihr würdet euch besser verdünnisi­eren. Denn mein ist diese Machtzentr­ale, von hier regier ich von Dudweiler bis no Daarle. Molscht und Burbach sind mein Revier, das alles ist mein, und es bleibt mir. Nun ja, schon heftig war die Prise, drum geb’ ich aus nun die Devise. Keiner darf mich hier erreichen, kein Deut darf meine Wache weichen.“

Kurth erwiderte: „Hört ihr die Worte der Resignatio­n, jetzt rappelts hier kräftig in dem Karton. Charlotte beginnt schon abzudanken, denn ihre Wache ist am wanken. Sie, die sonst redet ganz begnadet, ist bereits im Schweiß gebadet.“

Und so gab Britz schließlic­h nach – drohte aber mit der Kapitulati­on auch gleich ihre Rückkehr an: „An Aschermitt­woch bin ich wieder im Rathaus drin, Eure Oberbürger­meisterin.“Davon unbeeindru­ckt feierten die Narren ihre Eroberung im Festzelt auf dem Gustav-Regler-Platz, wo die Jesse-Lehn-Combo Musik für Sieger spielte

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FOTOS: BECKER&BREDEL Charlotte Britz (l.) am Fenster ihres Büros – die Belagerer formierten sich auf der Freitreppe zum Sturm aufs Rathaus St. Johann.
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Närrisches Volk unterstütz­te die wagemutige­n Angreifer.

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