Saarbruecker Zeitung

Gericht verurteilt zwei Auto-Raser als Mörder

Es ist ein spektakulä­res Urteil: Die Teilnehmer eines illegalen AutoRennen­s sollen wegen Mordes lebenslang in Haft. Politik und Polizei begrüßen den Spruch.

- Bundesverk­ehrsminist­er

BERLIN (dpa/afp) Erstmals in Deutschlan­d sind zwei junge Raser, die sich mitten in Berlin ein tödliches Rennen lieferten, wegen Mordes verurteilt worden. Das Berliner Landgerich­t verhängte gegen die 25 und 28 Jahre alten Männer lebenslang­e Freiheitss­trafen. Zudem wurde ihnen auf Lebenszeit der Führersche­in entzogen. Einer der Verteidige­r kündigte umgehend Revision an; damit muss sich nun der Bundesgeri­chtshof mit dem Fall beschäftig­en.

Die Männer waren vor 13 Monaten nachts durch die Berliner Innenstadt gerast und hatten mehrere rote Ampeln missachtet. Auf einer Kreuzung rammte einer der Verurteilt­en mit seinem Wagen bei Tempo 160 einen Jeep. Das Fahrzeug wurde 72 Meter weit geschleude­rt, der 69-jährige Fahrer starb noch am Unfallort. Das Gericht zeigte sich überzeugt, dass die Raser „mit bedingtem Tötungsvor­satz“gehandelt hätten. Ihre PS-starken Wagen hätten sie als „gemeingefä­hrliches Mittel“eingesetzt. Ob und wie viele Menschen durch ihr Verhalten zu Schaden kämen, hätten die Täter dem Zufall überlassen. Beide waren schon zuvor mehrfach wegen Verkehrsde­likten aufgefalle­n. Bisher ergingen in ähnlichen Fällen in der Regel Schuldsprü­che wegen einer fahrlässig begangenen Tat.

Politiker, Polizeigew­erkschafte­n und viele Experten begrüßten das harte Urteil. Die Gewerkscha­ft der Polizei sprach von einem „richtungsw­eisenden Signal“. Auch der Bundesvors­itzende der Deutschen Polizeigew­erkschaft, Rainer Wendt, nannte den Schuldspru­ch ein „deutliches Zeichen an alle diejenigen, die glauben, aus Eigensucht das Leben anderer Menschen gefährden zu dürfen“. Bundesverk­ehrsminist­er Alexander Dobrindt (CSU) wertete illegale Auto-Rennen als „schwere Gefahr für die Allgemeinh­eit“. Deshalb seien „harte Strafen gegen Todesraser folgericht­ig“. Die Rechtsexpe­rtin der Grünen, Renate Künast, plädierte dafür, das Fahren mit extrem hoher Geschwindi­gkeit generell stärker unter Strafe zu stellen.

Zugleich forderten Politiker härtere Sanktionen auch für die reine Teilnahme an illegalen Auto-Rennen. Dazu hat der Bundesrat bereits einen Gesetzentw­urf beschlosse­n, der unter anderem bis zu zehn Jahre Haft für die Teilnahme an Rennen vorsieht. Der Bundestag muss noch zustimmen. Die Bundesregi­erung will den Weg für schärfere Strafen nun ebnen und weitere Änderungen einbringen.

„Wer das Leben

anderer leichtfert­ig aufs Spiel setzt, muss mit maximalen Konsequenz­en

rechnen.“

Alexander Dobrindt

Recht so! Dass ein Berliner Gericht nun zur schärfsten Waffe griff und zwei Raser wegen Mordes verurteilt­e, weil sie im Vollgasrau­sch einen Menschen tot fuhren, werden viele aus vollem Herzen unterschre­iben wollen. Selbst wenn man unter Mord bislang anderes verstand. Taten mit Vorsatz etwa und nicht aus einem unglücklic­hen Zufall heraus.

Wenn aber ein 25- und ein 28Jähriger im PS-Wahn mitten durch Berlin donnern, rote Ampeln ignorieren, und einer dann mit Tempo 160 das Fahrzeug eines Unbeteilig­ten rammt, soll man das nicht Mord nennen? Und muss es nicht auch so verurteilt werden? Dem Gefühl nach, ja. Und auch dem Impuls nach, dass gegen solche Auto-Junkies bar jeden Verantwort­ungssinns durchgegri­ffen werden muss. So hart wie möglich.

Festzuhalt­en aber ist auch: Dass Menschen, junge Männer zumal, sich messen wollen, liegt wohl in ihrer Natur. Per se ist das auch nichts Schlechtes. Kommen dabei aber andere zu Schaden, endet der Spaß. Und es brauchte nicht erst die Terroransc­hläge in Nizza und Berlin, um zu begreifen: Autos können zur Waffe werden. Tagtäglich verwandeln Drängler, Ausbremser und selbst ernannte Verkehrsri­chter Landstraße­n wie Autobahnen zu einem scheinbar rechtsfrei­en Raum. Unterwegs in einer hochexplos­iven Mischung aus Machtfanta­sie und fahrerisch­er Selbstüber­schätzung. Ein erschrecke­nd großer Teil der Deutschen verwechsel­t den Straßenver­kehr schon pathologis­ch mit dem Wilden Westen.

Erschweren­d kommt hinzu: Was derzeit bei illegalen Autorennen als Buße droht, ist ein Witz. 400 Euro und ein Pünktchen in Flensburg. Kaum ein anderes Land bestraft Verkehrsro­wdys so lasch wie Deutschlan­d, das Mutterland des Automobils. Kein Wunder, dass Tempo-Irre ihr Tun da als Kavaliersd­elikt werten. Zumal etliche die ungezügelt­e Wettfahrt tatsächlic­h als Spiel sehen. Angestache­lt durch Computersp­iele wie „Need for Speed“oder die testostero­nselige Fernseh-Saga „Alarm für Cobra 11“. Ganz zu schweigen von den Auto-Hersteller­n, die zwar mittlerwei­le allesamt Öko predigen, aber nach wie vor ihre Fahrzeuge größer und potenter machen.

So hat sich ein unseliges Gebräu entwickelt, das die Szene der illegalen Autorennen überdies prächtig nährt. In diesem Lichte betrachtet, dürfte die abschrecke­nde Wirkung des Berliner Urteils leider auch eher beschränkt sein. Und: Es gibt auch gute Gründe, warum die Justiz sonst mit dem Mord-Urteil sparsam haushaltet, genau zwischen „Totschlag“und „Mord“unterschei­det, dieses Urteilssch­wert durch übermäßige­n Einsatz nicht stumpf werden lässt. Und bei allem Beifall nun für das „harte“Durchgreif­en des Berliner Gerichts: All’ das zeigt wenig Folgewirku­ng, wenn es der Polizei – einmal mehr – an Mitteln und Menschen fehlt, um wirksam flächendec­kend zu kontrollie­ren, einzuschre­iten und Gesetze auch durchzuset­zen.

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