Und der Oscar geht an … den Falschen
Pa-Pa-Panne statt La La Land: Ein einzigartiges Verwechslungsdrama hat die glanzvolle Verleihung der Oscars überschattet. Während Fred Berger (vorn), Produzent des Musicals „La La Land“, schon strahlend die Trophäe für den besten Film feierte, erfuhr seine Crew im Hintergrund das Unfassbare: Die Laudatoren hatten den falschen Umschlag geöffnet. Wahrer Sieger war der Film „Moonlight“. Ganz Hollywood war peinlich berührt.
LOS ANGELES (dpa) Eine der peinlichsten Pannen der Oscar-Geschichte hat den Erfolg der großen Gewinnerfilme „Moonlight“und „La La Land“überschattet. Die Schauspieler Warren Beatty und Faye Dunaway hatten den falschen Umschlag und verkündeten daher einen falschen Gewinner: Das Musical „La La Land“habe in der Hauptkategorie als bester Film gesiegt, hieß es. Wenig später klärte sich auf: Der wichtigste Oscar ging an „Moonlight“von Barry Jenkins.
Für die Panne entschuldigte sich das Unternehmen PricewaterhouseCoopers. Den Laudatoren seien versehentlich Umschläge für die falsche Kategorie überreicht worden, hieß es in einem Statement der Wirtschaftsprüfer, die seit Jahrzehnten auch für die geheime Zählung und Auswertung der OscarAbstimmung zuständig sind. „Moonlight“gewann drei Oscars: als bester Film, für das beste adaptierte Drehbuch sowie für Nebendarsteller Mahershala Ali. Das 14fach nominierte Musical „La La Land“erhielt nur sechs Oscars, darunter je einen für Regisseur Damien Chazelle und Hauptdarstellerin Emma Stone. Ihr Filmpartner Ryan Gosling verlor gegen Casey Affleck, der für seine Rolle in „Manchester by the Sea“als bester Hauptdarsteller geehrt wurde.
Die deutschen Hoffnungen wurden enttäuscht. Weder Marcel Mettelsiefens Doku über eine syrische Flüchtlingsfamilie noch Komponist Volker Bertelmann alias Hauschka (Filmmusik zu „Lion“) gewann einen Oscar. Leer ging auch die mit „Toni Erdmann“für den Auslands-Oscar nominierte Regisseurin Maren Ade aus. Den holte der Iraner Asghar Farhadi für „The Salesman“. Farhadi kam aus Protest gegen den Einreisestopp von US-Präsident Trump nicht zur Preisverleihung. „Wer die Welt in Kategorien wie ,Wir’ und ,unsere Feinde’ einteilt, schafft Angst“, hieß es in einer Erklärung, die er verlesen ließ. Explizite Kritik an Trump und seiner Politik gab es wider Erwarten bei der Gala nicht. Mr. Jenkins, dies ist erst Ihr zweiter Kinofilm. Hat Sie der enorme Erfolg von „Moonlight“überrollt?
Jenkins Im ganzen Oscar-Trubel darf man nicht vergessen, dass dies kein konventioneller Film ist. Die Erzählstruktur ist ungewöhnlich. Der visuelle Stil entspricht überhaupt nicht dem, was man von einem sozialrealistischen Film erwartet. Ich hätte nie gedacht, dass dieser Film auf eine solch universelle Weise so gut ankommt. Hätte ich „Moonlight“gedreht, um einen Oscar zu gewinnen, sähe er ganz anders aus: Mehr Tränen und am Ende würden sie Händchen halten und in den Sonnenuntergang hineinlaufen. Aber das wäre nicht der Film, den wir machen wollten.
„Moonlight“beruht auf dem Theaterstück von Tarell Alvin McCraney. Was hat Sie daran fasziniert? Jenkins Ich bin in derselben Gegend in Miami aufgewachsen. Tarrell hat die Stimmung dieses Viertels sehr gut eingefangen. Vor allem die Mutterfigur hat mich sehr an meine eigene Familiengeschichte erinnert. Meine Mutter war ebenfalls drogenabhängig. Ich habe gespürt, dass diese Figur sehr wahrhaftig gezeichnet ist.
„Moonlight“geht mit seinen Figuren, die in einem rauen sozialen Umfeld leben, sehr zärtlich um. Warum diese Herangehensweise? Jenkins Meine Mutter und ich sind durch harte Zeiten gegangen, aber ich empfinde ihr gegenüber keinerlei Bitternis. Sie hatte ein hartes Leben. Trotzdem hat sie sich immer eine bestimmte Zärtlichkeit bewahrt. Dieselbe Zärtlichkeit wollte ich den Figuren im Film entgegenbringen. Das Theaterstück ist ja entstanden, weil Tarell in seiner Kindheit zu einem lokalen Drogendealer eine sehr vertraute, väterliche Beziehung hatte. Wir haben oft diese Stereotypen im Kopf, wenn eine Figur außerhalb unseres kulturellen Horizontes steht. Ein Freund von mir sagt: „Ein Dealer ist immer nur ein Dealer.“Aber dort, wo ich aufgewachsen bin, sind die Menschen nicht allein die Summe dessen, was sie tun. In unserem Film ist ein Dealer ein Mensch, der mit Drogen handelt.
„Moonlight“zeigt über drei Lebensstationen hinweg einen jungen Afroamerikaner, der sich allmählich seiner eigenen Homosexualität bewusst wird. Rechneten Sie mit kontroverseren Reaktionen? Jenkins Vor zehn Jahre hätten die Reaktionen sicher noch ganz anders ausgesehen. Aber drei Jahre, nachdem der Supreme Court in den USA die gleichgeschlechtliche Ehe als Verfassungsrecht etablierte, hat sich die Stimmung im Land verändert. Wenn sich einer unwohl dabei fühlt, wenn zwei Männer auf der Straße Hand in Hand gehen, muss er heute sehen, wie er damit klar kommt. In der Welt, in der wir selbst aufgewachsen sind, ist Männlichkeit dagegen ein gut bewachter Garten, und wenn sie einem von den anderen abgesprochen wird, hat man es sehr schwer.
Woher kommt diese rigide Vorstellung von Hypermaskulinität ? Jenkins Die Geschichte der Schwarzen in den USA ist eine von Erniedrigung. Wir wurden als Sklaven nach Amerika gebracht. Als wir unsere Freiheit bekamen, war es deshalb notwendig, die eigene Männlichkeit stark herauszustellen. Hätten wir irgendeine Schwäche gezeigt, hätte die Gefahr bestanden, dass man uns die Freiheit wieder genommen hätte. Die Idee der Maskulinität war für Schwarze hier lange eine Frage auf Leben und Tod. Ein Teil dieses Erbes lebt heute in der schwarzen Gemeinde weiter und führt dazu, dass abweichende Formen von Männlichkeit nicht akzeptiert werden. Wird Ihr Film das Black Cinema in den USA verändern?
Jenkins Spike Lee musste fast 20 Jahre lang das afroamerikanische Kino allein repräsentieren. Jetzt sind wir an einem Punkt, dass so viele afroamerikanische Regisseure Filme machen, dass keiner mehr für alle sprechen muss, wenn es um die Erfahrung von Schwarzen in den USA geht. Wir können viel konkreter und genauer über unsere Viertel, unsere Zeit und unser Leben sprechen. Die Filmindustrie in Hollywood wurde immer von weißen Torwächtern dominiert und um als Afroamerikaner Zugang zu bekommen, musste man ein Stück weit auch immer seine Stimme verkaufen. Heute sieht die Situation anders aus: Dadurch, dass die Kosten für einen Film durch die neue Technologie sehr viel niedriger sind, werden auch die Möglichkeiten der Einflussnahme geringer. Unser Film
kommt ungefiltert aus einem schwarzen Bewusstsein heraus.
Das Aufblühen des afroamerikanischen Kinos ist auch eine Folge der Obama-Ära. Wie blicken Sie in die Zukunft unter Donald Trump? Jenkins In den Staaten kam der Film drei Wochen vor der Wahl heraus und ist auch eine Weile danach noch gelaufen. Ich habe gesehen, wie sich die Reaktion des Publikums nach der Wahl wandelte. Die Menschen haben sich „Moonlight“angeschaut, um sich rückzuversichern, dass die USA nicht der Ort sind, an dem es nur eine Version des amerikanischen Lebens gibt. Aber ich denke, im Post-Obama-Amerika werden wir Filmemacher unsere Stimme in Zukunft aggressiver zum Ausdruck bringen. Das wird auch notwendig sein.
Das Gespräch führte Martin Schwickert