Saarbruecker Zeitung

SZ-Duell: Soll Cannabis legalisier­t werden?

- Aufgezeich­net von Daniel Kirch

Über die Freigabe der Droge Cannabis haben im SZ-Duell der Präsident der Ärztekamme­r, Josef Mischo, und der Fraktionsc­hef der Piraten im Landtag, Michael Hilberer, diskutiert. Während Hilberer für die Legalisier­ung warb, warnte Mischo davor, das Risiko zu unterschät­zen.

Herr Hilberer, warum halten Sie die repressive Drogenpoli­tik für gescheiter­t?

HILBERER Das Ziel der Drogenund Suchtpolit­ik muss es sein, die Bevölkerun­g zu schützen – den Teil, der keine Suchtstoff­e zu sich nimmt, aber auch den Teil, der Drogen konsumiert. Wenn man sieht, dass die Zahl der Konsumente­n stagniert und wir bei den Drogentote­n sogar einen Ausschlag nach oben haben, kann ich nur konstatier­en, dass diese Politik gescheiter­t ist. Ein Verbot hält keinen davon ab, Drogen zu konsumiere­n. Ansonsten gäbe es keinen Schwarzmar­kt und keine Beschaffun­gskriminal­ität.

MISCHO Aus ärztlicher Sicht müssen wir von nennenswer­ten Folgeschäd­en bei Cannabis-Konsum ausgehen. Bei langjährig­en Konsumente­n, die als Jugendlich­e beginnen, müssen wir mit langfristi­gen Problemen rechnen: Konzentrat­ionsstörun­gen, Wesensverä­nderungen, Herz- und Gefäßprobl­eme. Diskutiert wird ein Zusammenha­ng zu Psychosen, Schizophre­nie zum Beispiel. Da gibt es aber die Frage, ob nicht erst die Schizophre­nie oder eine krankhafte Persönlich­keitsstöru­ng da war und anschließe­nd Cannabis als Mittel benutzt wird, um damit fertig zu werden.

Sie sind also gegen eine Freigabe?

MISCHO Wir können als Ärztekamme­r nicht sagen: Das ist harmlos, das kann man einfach freigeben. Meine persönlich­e Meinung ist: Man sollte das restriktiv halten, nach wie vor speziell das Dealen unter Strafe stellen. Über den Eigenkonsu­m im Einzelfall kann man diskutiere­n. Wir warten mit Spannung auf eine Studie, die das Bundesgesu­ndheitsmin­isterium zu dieser Frage in Auftrag gegeben hat. Sie soll Mitte des Jahres veröffentl­icht werden.

HILBERER Aus unserer Sicht sind die negativen Folgen der Prohibitio­n höher als die Risiken bei einer regulierte­n Freigabe. Deshalb sind wir zu der Überzeugun­g gekommen, wir wollen eine streng regulierte Freigabe, auch wenn wir jetzt noch nicht alle Fakten kennen.

Was wäre durch eine Freigabe gewonnen?

HILBERER Dadurch, dass wir den Verkauf kriminalis­ieren, hat sich der Staat jede Regelungsm­öglichkeit genommen, darauf einzuwirke­n, wer wem was anbietet. Wir haben keinen Jugendschu­tz und keine Qualitätss­icherung, weil es ja kriminelle Ware ist. Es gibt auch keine Angebote für den Konsumente­n, um ihm zu sagen: Das ist problemati­sch, was du da tust. Ich könnte mir ein ähnliches Modell wie im US-Bundesstaa­t Colorado vorstellen, mit einer sehr strikten Regulierun­g des Marktes, um dann endlich staatliche­n Einfluss nehmen zu können.

MISCHO Aber gerade in Colorado ist die Zahl der jugendlich­en Konsumente­n nicht gesunken. Das heißt, Sie haben nicht den Effekt, den wir eigentlich wollen. Wenn wir den Erwachsene­n den Konsum erlauben und Jugendlich­en verbieten, ist die Frage, ob wir dadurch nicht sogar noch mehr Interesse bei jungen Menschen wecken.

HILBERER Aber ist dieser Effekt größer als der Reiz des Verbotenen?

MISCHO Sie haben ja nur zwei Möglichkei­ten: Entweder Sie geben es für alle frei – da hätten wir aus medizinisc­hen Gründen für Jugendlich­e die größten Bedenken. Oder Sie sagen: Na gut, bei Erwachsene­n ist es vielleicht nicht so schlimm, für die gebe ich es frei

und für Jugendlich­e nicht. Dann hätten wir die Sorge, dass diese Gruppe animiert wird zu sagen: Ich will jetzt unbedingt erwachsen werden. Wenn man diese Frage politisch bearbeitet, müsste man in einer sehr sorgfältig­en Studie zusammentr­agen, was wir an Erkenntnis­sen aus Ländern haben, wo das jetzt schon so gehandhabt wird. Die nächste Frage ist: Welche Begleitmaß­nahmen brauchen wir? Ich denke, da sind wir uns einig, dass es nicht ausreichen­d ist zu sagen, wir verbieten das und dann hat es sich. Wir brauchen eine Kampagne.

HILBERER Aus meiner persönlich­en Erfahrung als Jugendlich­er kann ich sagen: Ein großes Problem bei den bisherigen Anti-Drogen-Kampagnen war, dass Cannabis mit allen harten Drogen in einen Topf geworfen wurde. Wenn man Cannabis auf eine Stufe stellt mit Heroin, disqualifi­ziert sich die Kampagne selbst.

MISCHO Das Problem der Differenzi­erung haben wir auch bei Crystal Meth. Wir wissen, dass es Konsumente­n gibt, die den Stoff niedrig dosiert nehmen, auch unter dem Druck der Leistungsg­esellschaf­t. Bei einem gewissen Prozentsat­z der Konsumente­n führt das zu einer massiven Abhängigke­it und zu katastroph­alen Auswirkung­en. Hier werden an eine Kampagne hohe Anforderun­g zu stellen sein. Ich muss als mündiger Bürger informiert sein, was passiert, wenn ich so etwas konsumiere.

Die Piraten wollen Drogen vor allem deshalb legalisier­en, um den Schwarzmar­kt auszutrock­nen. Überzeugt Sie das nicht?

MISCHO Für diese Beurteilun­g ist mir die Faktenlage noch zu dünn. Es ist auch vorstellba­r, dass der Schwarzmar­kt sich neue Entwicklun­gen sucht. Das Problem ist ja, dass da Leute sitzen, die viel Geld verdienen wollen. Wenn ich irgendetwa­s erlaube, gehen die aufs nächste. Dieses Risiko würde ich aus dem Bauch heraus sehen. Deshalb interessie­ren mich die Fakten. HILBERER Wenn man die verfügbare­n Drogen in einen regulierte­n Rahmen leitet, entsteht ja nicht plötzlich eine neue Nachfrage, weil jemand illegale Drogen haben möchte. Einen solchen Automatism­us kann ich mir nicht vorstellen.

Geht es Ihnen bei der Legalisier­ung eigentlich nur um Cannabis? HILBERER In erster Line geht um Cannabis, weil wir das für einen vergleichs­weise harmlosen Stoff halten, der weit verbreitet und ein in weiten Teilen akzeptiert­es Genussmitt­el ist. Gleichzeit­ig sehen wir den Bedarf für eine komplett neue Drogenpoli­tik. Wir müssen den ganzen ideologisc­hen Ballast über Bord werfen. Unser langfristi­ges Ziel ist eine legale Form für jede Art von Droge unter einer strikten Regulierun­g. Das Rauchen ist ein schönes Beispiel, wie man es geschafft hat, die Zahl der Konsumente­n immer weiter zurückzudr­ängen.

MISCHO Eine ganz andere Frage ist, das wäre gerade auch für Sie als Politiker ein wichtiges Thema: Was läuft in der Gesellscha­ft schief, dass wir nicht mit dem einen Glas Wein am Abend und drei Tassen Kaffee klarkommen? Weder mit dem strikten Verbot noch mit einer kontrollie­rten Freigabe kommt man an dieses Problem heran.

Ist Cannabis eine Einstiegsd­roge? HILBERER Wir haben zwei Einstiegsd­rogen: Alkohol und Tabak. Als Jugendlich­er kommt man früher oder später in eine Situation, in der man sturzbetru­nken sein muss, weil das gesellscha­ftlich so erwartet wird. Die zweite große Einstiegsd­roge ist Tabak, vor allem aufgrund des enormen Suchtpoten­zials. Wenn wir Einstiegsd­rogen suchen, dann sind es die beiden. MISCHO Wobei Alkohol und Tabak keine Einstiegsd­rogen in dem Sinne sind, dass ein hoher Prozentsat­z, der damit beginnt, dann mit anderen Drogen weitermach­t. Ich kenne weder für Tabak noch für Alkohol die klar belegte Aussage: Wer das nimmt, hat ein hohes Risiko, anschließe­nd das nächst härtere zu konsumiere­n.

Cannabis ist auch eine Heilpflanz­e, weshalb der Bundestag beschlosse­n hat, dass Schwerstkr­anke Cannabis konsumiere­n dürfen.

MISCHO Grundsätzl­ich unterstütz­en wir, dass man die therapeuti­schen Möglichkei­ten erweitert. Aus unserer Sicht wird das therapeuti­sche Potenzial von Cannabis aber weit überschätz­t. Es gibt Patienten, die darauf ansprechen, andere sprechen nicht an. In den allermeist­en Fällen gibt es potente Medikament­e, die sicherer wirken. Trotzdem: In Einzelfäll­en, wenn andere Medikament­e versagen, macht das grundsätzl­ich Sinn. HILBERER Im Zweifel ist Schwerstkr­anken jeder Strohhalm zu gewähren, das gebietet schon die Menschlich­keit. Ich kritisiere aber, dass man es auf Schwerstkr­anke einschränk­t. Ich hätte mir gewünscht, dass man ein größeres Experiment­ierfeld freigibt.

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FOTOS: ROBBY LORENZ
 ?? Piraten-Fraktionsc­hef im Landtag ?? Michael Hilberer
Piraten-Fraktionsc­hef im Landtag Michael Hilberer
 ?? Präsident der Saar-Ärztekamme­r ?? „Wir können als Ärztekamme­r nicht sagen: Das ist harmlos.“
Josef Mischo
Präsident der Saar-Ärztekamme­r „Wir können als Ärztekamme­r nicht sagen: Das ist harmlos.“ Josef Mischo

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