„Eigentlich ein Schloss der Moderne“
Paul Burgard, Historiker und Leiter des Landesarchivs, hält den Pingusson-Bau für erhaltenswert.
Warum haben Sie sich als Historiker um Grandval und um den Pingusson-Bau gekümmert?
Paul Burgard: Bei der Beschäftigung mit dem Jahr 1946 bin ich auf ausführliche Quellen zum Wiederaufbau des Halbergs gestoßen und war ziemlich verblüfft, dass diese Quellen überhaupt vorhanden sind und in welcher Intensität sie eine Geschichte erzählen nicht nur vom Wiederaufbau, sondern auch von den französisch-saarländischen politischen Machtverhältnissen. Und dann weitet man den Blick ja, und ich habe weitergesucht, welches die anderen bekannten Bauten waren, die wir dem französischen Einfluss zu verdanken haben. Das war dann eben auch die französische Botschaft und die Wiederaufbau-Pläne für Saarbrücken, die ja eng miteinander zusammenhängen. In beiden Fällen ist mir aufgefallen, dass viel über die architektonischen und kunsthistorischen Aspekte geschrieben wurde, die politische Dimension aber stark ideologisiert war.
Die eigentliche Bau- und ältere Nutzungsgeschichte war zudem praktisch bisher gar kein Thema: die Auseinandersetzungen mit der Regierung, die Fragen der Finanzierung, der Widerstand der Alt-Saarbrücker Hausbewohner, die Planänderungen während der Bauphase – all das kann man jetzt in meinem Artikel zumindest in geraffter Form erstmals lesen.
Gerade jetzt, wo mal wieder über Alt-Saarbrücken und seine Entwicklung gesprochen wird, ist es ja gut und wichtig, noch einmal auf die Geschichte zu schauen. Sie können mit Ihrer Aufarbeitung als Historiker ja durchaus zum Verständnis beitragen.
Burgard: In den Nachkriegsjahrzehnten wurde übrigens in vielen anderen deutschen Städten genau die gleiche Diskussion geführt. Große Masterpläne für den Wiederaufbau gab es in verschiedenen Städten, und eigentlich sind sie nirgendwo umgesetzt worden. Eine neue Struktur über eine alte, zerstörte Stadt zu legen, ist überall auf Ablehnung gestoßen. Es war ja nicht so, dass der kleine saarländische provinzielle Geist es nicht zugelassen hat, dass die großartigen Pläne umgesetzt wurden.
Sind Sie als Historiker jetzt auch dabei, den hochgerühmten Stadtplaner Pingusson vom Sockel zu heben?
Burgard: Ich will ihn nicht vom Sockel holen. Es ist das durchdachteste stadtplanerische Konzept, das es jemals gab. Auf dem Papier hat das Konzept einer modernen Stadt vollkommen gestimmt. Aber die Hürden waren hoch. Sie können eine moderne Stadt nicht gegen den Willen der Menschen, die dort leben, realisieren.
Wie schätzen Sie den PingussonBau heute ein?
Burgard: Das Gebäude hat die Struktur des Viertels vollkommen verändert. Es steht ja da wie ein Monolith, wie ein Ufo. Das machte natürlich Sinn in dem Plan, der damals vorgesehen war.
Ohne die Autobahn.
Burgard: Ja, aber auch da muss man vorsichtig sein. Man hat, gemessen an den heutigen Zuständen, damals mit sehr wenig Verkehr gerechnet. Und es sollten Transversalen gebaut werden, also Ost-West, Nord-Süd-Verbindungen. Damals sollte schon das gebaut werden, was später in modifizierter Form als Ost-Spange kam. Viele der Ideen von damals waren vielleicht ein Stück zu groß für Saarbrücken.
Auch das Pingusson-Gebäude? Burgard: Es sollten ja noch einige Gebäude hinzukommen, es sollte ein großes urbanes Zentrum entstehen. In diesem Rahmen hätte sich natürlich der Pingusson-Bau bestens eingefügt. Für mich stellt sich auch gar nicht die Frage, passt das jetzt. Man muss die Geschichte immer in dem Augenblick betrachten, in dem sie passiert. Und darauf hat man wohl auch in den kunst- oder architekturhistorischen Untersuchungen viel zu wenig geachtet. Das war ein letzter Versuch, mit „sanfter Gewalt“diesem Saarbrücker Stadtplan doch noch zum Durchbruch zu verhelfen. Das zeigen der große Park, die Ausrichtung des Gebäudes und die Möglichkeit der Tranversalen. Das heißt, da wurde ein Stein platziert, der gewisse Möglichkeiten beim Weiterentwickeln des Stadtplans bot. Ich würde schon sagen, dass der PingussonBau die historische Struktur AltSaarbrückens konterkariert hat. Für mich war es aber dennoch faszinierend, in die Utopien von gestern und die in ihnen enthaltenen Möglichkeiten reinzuschauen. Das Pingusson-Gebäude ist eigentlich ein Schloss der Moderne geworden. Grund genug, es zu erhalten.
Das Gespräch führte Ilka Desgranges.