Saarbruecker Zeitung

Warum Frauen morden

Düsseldorf­er Kommissar und Buch-Autor geht davon aus, dass in Deutschlan­d noch 20 Täterinnen auf freiem Fuß leben.

- VON FRANK CHRISTIANS­EN

DÜSSELDORF (dpa) Der Mann, den Jennifer über Facebook kennenlern­t, wird allmählich ihr Freund. Doch erst nach vielen Monaten vertraut sie ihm ihr dunkles Geheimnis an – und wird kurz darauf als dreifache Kindsmörde­rin verhaftet. Freund „Roland“war in Wahrheit verdeckter Ermittler des LKA – und überführte eine Serienmörd­erin, der bis dahin trotz aller Mühen der Mordkommis­sion nichts nachzuweis­en war.

Jennifer (Name geändert) ist eine der 38 verurteilt­en Serienmörd­erinnen der Bundesrepu­blik, die für insgesamt 145 Morde verantwort­lich sind. Stephan Harbort (52), Experte für Serienmord­e, hat erstmals die Akten sämtlicher bekannter Serienmörd­erinnen Deutschlan­ds für eine umfassende kriminolog­ische Studie ausgewerte­t. Die Ergebnisse stellt der Düsseldorf­er Kommissar in einem neuen Buch („Killerfrau­en“, Knaur Verlag, 2017) vor.

Mit vier Serienmörd­erinnen hat er persönlich im Gefängnis sprechen können. Im Vergleich zu männlichen Serienmörd­ern sei dies ungleich schwerer gewesen, denn: „Frauen schämen sich für die Taten.“

Harborts Fazit: Während es bei männlichen Serienmörd­ern um Habgier, Sex und Macht geht, morden Frauen aus viel pragmatisc­heren Motiven: Um sich Problemen und Konflikten zu entledigen. Hat sich diese radikale Problemlös­ungsstrate­gie einmal bewährt, wird sie bei Bedarf wieder angewendet, wenn das Tabu zu töten erst einmal überwunden ist.

„Ich habe nur einen Fall in der Schweiz entdeckt, wo eine Frau aus Mordlust getötet hat. In Deutschlan­d kenne ich keinen Fall seit dem Zweiten Weltkrieg“, sagt Harbort. Serienmörd­erinnen sind in der Regel verheirate­t, unauffälli­g und nicht vorbestraf­t. Sie kennen ihre Opfer und haben eine berufliche oder private Beziehung. So töten sie im Gegensatz zu Männern in der eigenen Wohnung oder am Arbeitspla­tz. „In den meisten Fällen befinden sich die Täterinnen in einer privaten oder berufliche­n Sackgasse. Sie glauben, diese Situation nur durch die Tötung des Opfers auflösen zu können“, berichtet Harbort.

Die Kriminolog­in Professor Britta Bannenberg (Uni Gießen) hält das für plausibel: „Wenn Frauen sich etwa ihres Partners entledigen, dann selten, weil sie die habgierige Witwe sind, sondern weil sie ein Problem loswerden wollen.“Etwas anders ist es aus ihrer Sicht bei den Patientent­ötungen durch Frauen: „Da geht es oft auch um Macht.“

Im Gegensatz zu den Opfern von Serienmörd­ern sind die der Frauen meist sehr jung oder sehr alt, hat Harbort herausgefu­nden. Das liegt an den Mordserien an Kindern und Patienten, die häufiger von Frauen begangen werden.

18 Prozent der 212 abgeurteil­ten Mordserien in der Bundesrepu­blik wurden von Frauen verübt. Bei Mord und Totschlag insgesamt liegt der Frauenante­il nur bei zwölf Prozent.

Wohl weil man Frauen den Serienmord nicht zutraut, werden sie oft erst durch Zufall entdeckt und gestoppt. Die verurteilt­en Serienmörd­erinnen wurden durchschni­ttlich sechseinha­lb

Jahre nach der ersten Tat überführt, begingen in dieser Zeit vier bis fünf Morde. Harbort geht deshalb von einer großen Dunkelziff­er aus: Er schätzt, dass in der Bundesrepu­blik bislang mindestens 100 Frauen mehrere Menschen getötet haben.

Einige nahmen sich das Leben, als sie unter Verdacht gerieten, anderen konnte die Schuld nicht nachgewies­en werden und etliche blieben wie ihre Taten völlig unerkannt. „Auf eine erkannte Serienmörd­erin kommt eine unerkannte, das ist eine seriöse Schätzung“, sagt Harbort. „Ich gehe davon aus, dass in Deutschlan­d aktuell noch 20 Serienmörd­erinnen unerkannt und auf freiem Fuß leben. Wir werden noch die ein oder andere Überraschu­ng erleben, ganz sicher.“

Harbort, der schon gut 20 Bücher zu Serienmord­en veröffentl­icht hat, war 1999 für seine Schätzung, dass in Deutschlan­d mindestens acht Serienmörd­er frei herumlaufe­n, kritisiert worden. „Nachträgli­ch sind aus diesem Zeitraum 40 Serienmörd­er ermittelt worden. Ich lag also viel zu niedrig.“

In einem Gefängnis am Niederrhei­n sitzt Deutschlan­ds wohl schlimmste Serienmörd­erin: Bis zu 18 Morde und 17 Mordversuc­he sollen auf das Konto der Altenpfleg­erin gehen, die die Taten an alten Menschen in den 1980er Jahren im Raum Köln beging.

Im Gegensatz zu den Männern greifen Frauen beim Morden nicht zu Pistole, Axt oder Knüppel, sondern zu „weichen“Waffen, bevorzugt Kissen oder Gift.

Wie bei den Männern ist die durchschni­ttliche Serienmörd­erin 20 bis 40 Jahre alt, deutsch, hat Haupt- oder Realschule absolviert, gehört der Unteroder Mittelschi­cht an: „Die Serienkill­erin ist ein Jedermann.“

„Auf eine erkannte Serienmörd­erin kommt eine unerkannte, das ist eine seriöse Schätzung.“

Stephan Harbort

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FOTOS: FOTOLIA/DPA Gift gehört zu den „weichen“Waffen und ist bei Serienmörd­erinnen als Tatmittel beliebt.
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