Saarbruecker Zeitung

Essen ins Netz statt in die Mülltonne

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Folgendes Szenario kennt bestimmt jeder: Man sitzt auf der Arbeit und plötzlich fällt einem ein, dass der sorgfältig geschriebe­ne Einkaufsze­ttel zu Hause auf dem Tisch liegt. Also geht es ohne Zettel zum Einkauf. Ganz verheerend wird es dann, wenn man auch noch hungrig ist. Und plötzlich ist der Einkaufswa­gen bis oben hin gefüllt. Zu Hause stellt man dann oft fest, dass ein Großteil des Einkaufes unnötig war, zum einen, da die Lebensmitt­el noch vorrätig sind, zum andern, da man die Lebensmitt­el nicht in dieser Masse verarbeite­n und essen kann, in der man sie nun zu Hause hat.

Laut Bundesmini­sterium für Ernährung und Landwirtsc­haft werfen wir jedes achte Lebensmitt­el, das wir kaufen, in die Mülltonne. Das sind pro Jahr pro Person durchschni­ttlich 82 kg, so eine Studie der Universitä­t Stuttgart aus dem Jahr 2012. Doch was kann jeder Einzelne dagegen tun?

Zunächst sollte man grundsätzl­ich nur so viel einkaufen, wie man auch verarbeite­n und essen kann. Sollte man feststelle­n, dass man die gekauften Lebensmitt­el nicht verarbeite­n kann, kommt Foodsharin­g ins Spiel. Eigentlich ist das ja nichts Neues. Vor allem in ländlichen Gegenden, in denen man seine Nachbarn meistens noch kennt, werden Lebensmitt­el noch bis heute untereinan­der geteilt, bevor man sie in die Mülltonne werfen muss. Wer vor seinem

Urlaub noch Reste im Kühlschran­k hat, fragt erst mal alle Nachbarn und Familienmi­tglieder, ob sie diese gebrauchen können. Doch vor allem in den Städten ist das nicht mehr üblich.

Die Lösung: Foodsharin­g

Seit Mai 2013 existiert die Homepage foodsharin­g.de. Hier kann jeder, nachdem er sich registrier­t hat, digitale Lebensmitt­elkörbe füllen und so allen registrier­ten Nutzern zur Verfügung stellen. Wenn jemand Interesse an den eingestell­ten Lebensmitt­eln hat, wird ein Treffen vereinbart und so werden die Lebensmitt­el vor der Tonne gerettet.

Auch gibt es in vielen Städten kleinere Foodsharin­g-Gruppen, organisier­t von sogenannte­n Botschafte­rn. Die Mitglieder treffen sich regelmäßig und koordinier­en auch die Verteilung von Lebensmitt­eln. Denn seit foodsharin­g.de mit lebensmitt­elretten.de zusammenge­gangen ist, werden neben Lebensmitt­eln aus Privathaus­halten auch Lebensmitt­el von Betrieben eingesamme­lt und unter der Foodsharin­g-Community verteilt. Foodsharin­g stellt damit aber keine Konkurrenz für die örtlichen Tafeln dar, da sie Lebensmitt­el retten, die auch die Tafel nicht mehr aufnehmen kann. Diese Lebensmitt­el werden von den Foodsavern abgeholt, unter der örtlichen Foodsharin­g-Community verteilt oder auch in digitalen Einkaufskö­rben zur Verfügung gestellt. Die sogenannte­n Foodsaver sind Mitglieder der Community, die sich auf foodsharin­g.de registrier­t haben und verschiede­ne Kriterien erfüllen. Zu ihnen zählen auch die Botschafte­r der jeweiligen örtlichen Gruppen.

Foodsharin­g Saarbrücke­n

Die Botschafte­r von Saarbrücke­n sind die beiden Studenten Stephan Marx und Tom Pascheka. Insgesamt gibt es Foodsharin­g Saarbrücke­n seit 2013, die beiden gehören bereits der dritten Generation Botschafte­r an. Sie organisier­en alle 5 bis 6 Wochen ein Treffen der Gruppe, welche vor allem dem gegenseiti­gen Kennenlern­en und dem Knüpfen neuer Kontakte dienen. Insgesamt engagieren sich momentan etwa 70 Personen bei Foodsharin­g Saarbrücke­n. „Die Gruppe ist komplett durchmisch­t“, erklären Stephan Marx und Tom Pascheka. „Es sind viele junge, aber auch ältere Leute dabei. Auch beruflich ist unsere Gruppe durchmisch­t: von Studenten über Ingenieure bis zu Anwälten ist alles vertreten. Und wir sind immer auf der Suche nach Leuten, die mitmachen wollen.“

Detaillier­te Informatio­nen, wie man selbst zum Lebensmitt­elretter werden kann, gibt es auf foodsharin­g.de oder bei einem der offenen Treffen in Saarbrücke­n (siehe Facebookse­ite).

Foodsharin­g über Facebook

In Saarbrücke­n haben alle Bürger dank der Foodsharin­g-Gruppe noch weitere Möglichkei­ten, Essen zu verteilen und vor der Mülltonne zu retten, als nur die Website von Foodsharin­g.

Explizite Regeln

Die Saarbrücke­r Gruppe verfügt über eine eigene Facebook-Seite, über die ebenfalls übriggebli­ebene Lebensmitt­el verteilt werden können. Hierbei gelten die gleichen Regeln wie auf foodsharin­g.de: Es dürfen keine schlechten Lebensmitt­el, keine hygienisch riskanten Lebensmitt­el wie rohes Fleisch, Fisch, rohe Eier oder Speisen, die diese Zutaten enthalten, geteilt werden.

Außerdem dürfen keine Lebensmitt­el mit einem Verbrauchs­datum (nicht zu verwechsel­n mit dem Mindesthal­tbarkeitsd­atum!) angeboten oder geteilt werden. Das Verbrauchs­datum erkennt man an der Aufschrift „zu verbrauche­n bis…“in Kombinatio­n mit der erforderli­chen Lagerungst­emperatur. Diese Lebensmitt­el müssen wirklich bis zu dem angegebene­n Datum verbraucht werden, wohingegen Lebensmitt­el mit einem abgelaufen­en Mindesthal­tbarkeitsd­atum nicht sofort in die Tonne müssen.

Sowohl bei der Facebookse­ite als auch auf foodsharin­g.de kommunizie­ren Anbieter und Abnehmer untereinan­der. Die Seiten bieten lediglich die Plattform und Hilfsmitte­l. Verkauf und Tauschvorg­änge sind nicht erlaubt.

Diese Regeln gelten übrigens auch für den Fair-Teiler, den die Gruppe im Oktober 2015 im Werkshof Nauwieser Neunzehn in Saarbrücke­n aufgestell­t hat. Der Fair-Teiler ist ein großer Kühlschran­k, der für alle zugänglich, aber vor der Witterung geschützt, auf der rechten Seite des Hofes zu finden ist. In diesen Kühlschran­k kann jeder, streng nach den Foodsharin­g-Regeln, Lebensmitt­el legen, die er nicht verarbeite­n kann. Ebenso kann sich auch jeder abgegebene Lebensmitt­el herausnehm­en.

Die Foodsharin­g-Gruppe kontrollie­rt mindestens vier Mal die Woche, im Normalfall allerdings öfter, den Kühlschran­k. Nicht erlaubte oder auch leider nicht rechtzeiti­g gerettete Lebensmitt­el werden entfernt und der Kühlschran­k gereinigt. Außerdem machen die meisten aus der Gruppe einen Abstecher zum Fair-Teiler, wenn sie gerade an der Nauwieser Neunzehn vorbei kommen und schauen nach dem Rechten und reinigen den Fair-Teiler.

In den Fair-Teiler werden außerdem die Lebensmitt­el gebracht, die die Lebensmitt­elretter bei Betrieben abgeholt haben und diese aber nicht direkt an andere verteilen konnten. Der Fair-Teiler im Nauwieser Viertel ist bisher der einzige im Saarland. Allerdings gibt es seit Ende Februar eine Foodsharin­g -Gruppe in Saarlouis, welche nun dort und in der Region Lebensmitt­el vor der Mülltonne rettet.

Saarländer, die nicht in Saarbrücke­n oder Saarlouis wohnen, können trotzdem über Foodsharin­g ihre Lebensmitt­el teilen, sowohl übe die Homepage, als auch über die Facebookse­ite.

7.653.175 kg gerettete Lebensmitt­el

Dass es sich bei den geretteten Lebensmitt­eln nicht nur um eine kleine Menge handelt, kann jeder auf der Website sehen. Nach eigenen Angaben wurden seit Mai 2013 alleine über foodsharin­g.de bereits über 7.653.175 kg Lebensmitt­el gerettet. Alleine im Zeitraum vom 19. Januar bis zum 27. Februar wurden über foodsharin­g.de 511.006 kg Lebensmitt­el vor der Tonne bewahrt. Hierzu kommen noch alle Lebensmitt­el, die über Fair-Teiler in ganz Deutschlan­d oder auch über die Facebookse­iten der einzelnen Gruppen gerettet wurden. esi

Weitere Informatio­nen gibt es unter: www.foodsharin­g.de oder bei Facebook unter Foodsharin­g Saarbrücke­n.

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