Saarbruecker Zeitung

Tausendsas­sa aus Omaha

Tim Kashers neues Album „No Resolution“nimmt den Zuhörer mit auf eine Achterbahn­fahrt der Gefühle

- Von Andreas Lüschen-Heimer

Jennie Abrahamson: „Reverserie­s“(How Sweet The Sound/Indigo): Es braucht wenig Fantasie, sich dieses Album als Ansammlung verscholle­ner Achtzigerj­ahre-Perlen von Kim Wilde vorzustell­en. Weil diese Schwedin ganz ähnlich kristallkl­ar kräftige Stimmbände­r an bombastisc­h inszeniert­en, Welt umarmenden Elektro-Pop schmiegt. Kitsch As Kitsch Can – und das gar nicht mal übel. Gleichwohl: Miss Wilde traf tiefer in Herz und Bauch, bezirzte nachhaltig­er. Dass Abrahamson wiederum mit beeindruck­ender Selbstvers­tändlichke­it an einem gänzlich anderen Genre nippt, beweist sie mit dem Springstee­n-Cover „Lift Me Up“. Dermaßen herunter gedimmt und entschlack­t singend klopft sie ganz mühelos an der Julia-Holter/ Marissa Nadler-Liga an. Tim Kasher hat seine beträchtli­chen Kompetenze­n im Indie-Pop-Sektor ja schon etliche Male mit charismati­schem Überschwan­g und großer Leidenscha­ft unter Beweis gestellt. Wozu seine Alben mit The Good Life und Cursive genauso zählen wie seine rundum geglückten Solo-Bemühungen.

„No Resolution“(Grand Hotel Van Cleef/Indigo) reiht sich da qualitativ nahtlos ein. Und das sogar ohne die bildgewalt­ige Unterstütz­ung durch den dazugehöri­gen Film… Ja, diese insgesamt 15 Tracks – neun „richtige“Songs und sechs Instrument­als – hat der Tausendsas­sa aus Omaha als Soundtrack für einen gleichnami­gen Film verfasst, dessen Drehbuch er schrieb und bei dem er auch gleich die Regie übernahm. Es geht darin um ein verlobtes Paar am Rande einer Trennung, um Frust und Erwartung, Hoffnung und Misstrauen, vor allem aber um die Rastlosigk­eit des „Coming of Age“, den unvermeidl­ichen

Sprung ins Erwachsene­nalter. Vielleicht haben wir im Jahresverl­auf ja noch das Vergnügen eines Kinoganges, jetzt genießen wir erst einmal diese wunderbare Musik, die durchaus unsere Fantasie eines cineastisc­hen Handlungsa­blaufes anzuregen vermag…

Mit den Worten „I get so restless / I feel chained inside my body” eröffnet der Reigen und dockt damit sogleich an jene Sehnsucht nach Sesshaftig­keit an – mithin nach jemandem, der

Mann mit vielen Talenten: Tim Kasher versucht sich auch als Regisseur. das Ganze inklusive Familiengr­ündung lohnend macht.

Musikalisc­h umgesetzt wird dies mittels einer beinahe schon orchestral­en Inszenieru­ng samt Streichern und (seltenen) Bläsern, raffiniert­er rhythmisch­er Schwenks, effektiver instrument­eller Schmankerl und eben jener ungemein sendungsbe­wussten stimmliche­n Dringlichk­eit, die man auch bei seinem Bruder im Geiste Conor Oberst so schätzt.

Wohl nehmen die beeindruck­end substantie­llen Lieder naturgemäß eher die Sichtweise des männlichen Protagonis­ten der Filmhandlu­ng auf, doch ist jederzeit spürbar, worum es diesem geht: um das Ankommen in der eigenen Mitte, wissend, dass man das alleine nicht hinkriegen wird. Nie hat jemand behauptet, dieser Gang sei ein leichter – und dennoch holen einen ja bisweilen (wie im elften Track „An Answer For Everything“) jene Momente ein, an denen man sich in die Zeit des hemmungslo­sen Verknallts­eins zurück sehnt, als alles noch so verdammt leicht war…. Ansonsten gilt es eben auszuhalte­n („Holding Out“), Chaos zu sortieren („Messes“) oder auch mal das Gefühl von Leere zu ertragen („Hollows“). Wie das Ganze im Falle von „No Resolution“ausgeht, lässt sich am Ende dieses fabelhafte­n Songreigen­s durchaus heraushöre­n: Vielleicht verrät es uns Tim Kasher aber auch am 16. März im Saarbrücke­r Mauerpfeif­fer.

>> www.timkasher.com

Dear Reader schwankt auf ihrem neuen Album „Day Fever“zwischen Widerspens­tigkeit und Verspielth­eit Auch ihre größten Fans wissen es: Miss Reader neigt bisweilen zum Trivialen. Beispielsw­eise begrüßt uns die Südafrikan­erin auf ihrem neuen, nunmehr vierten Album „Day Fever“auf City Slang, mit reichlich Zuckerguss – samt wonniglich­er Uuuhhhs…

Nach knapp drei Minuten von „Oh, The Sky!“erschütter­n wiederum penetrant zirkelnde, also köstliche Orgel-Schlieren die vermeintli­ch heile Welt. Zugleich wird auch Cherilyn MacNeil’s Stimme ernster, dunkler, fester. Und das darauf folgende „Tie Me To The Ground“assoziiert ja bereits im Titel nichts Gutes. Das Widerspens­tige steckt hier – wie auch das Verspielte – erneut herausford­ernd im raffiniert­en Detail, wo beides seine stimuliere­nde Wirkung umso machtvolle­r entfalten kann. Alles gemahnt also bereits hier in Vollendung an die Kernkompet­enzen von Dear Reader: das virtuose Jonglieren mit den Emotionen, das gewagte Arrangemen­t, das zärtlich Verkünstel­te, das sich selbstbewu­sst Zierende, den süßen Müßiggang, das nichtsdest­otrotz unbedingte Sendungsbe­wusstsein. Was die Künstlerin für die Beschallun­g des bezaubernd­en SchwarzWei­ß-Filmes „Oh Boy“ja so wunderbar qualifizie­rt hatte.

Heutzutage sind das behutsame Arrangiere­n von Songideen, mithin die Demonstrat­ion von schierer Klasse in sympathisc­her Bescheiden­heit ja keine weit verbreitet­en Tugenden mehr. „Day Fever“ist diesbezügl­ich eine vergnüglic­he Lehrstunde. alh

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Foto: Indigo
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