Tausendsassa aus Omaha
Tim Kashers neues Album „No Resolution“nimmt den Zuhörer mit auf eine Achterbahnfahrt der Gefühle
Jennie Abrahamson: „Reverseries“(How Sweet The Sound/Indigo): Es braucht wenig Fantasie, sich dieses Album als Ansammlung verschollener Achtzigerjahre-Perlen von Kim Wilde vorzustellen. Weil diese Schwedin ganz ähnlich kristallklar kräftige Stimmbänder an bombastisch inszenierten, Welt umarmenden Elektro-Pop schmiegt. Kitsch As Kitsch Can – und das gar nicht mal übel. Gleichwohl: Miss Wilde traf tiefer in Herz und Bauch, bezirzte nachhaltiger. Dass Abrahamson wiederum mit beeindruckender Selbstverständlichkeit an einem gänzlich anderen Genre nippt, beweist sie mit dem Springsteen-Cover „Lift Me Up“. Dermaßen herunter gedimmt und entschlackt singend klopft sie ganz mühelos an der Julia-Holter/ Marissa Nadler-Liga an. Tim Kasher hat seine beträchtlichen Kompetenzen im Indie-Pop-Sektor ja schon etliche Male mit charismatischem Überschwang und großer Leidenschaft unter Beweis gestellt. Wozu seine Alben mit The Good Life und Cursive genauso zählen wie seine rundum geglückten Solo-Bemühungen.
„No Resolution“(Grand Hotel Van Cleef/Indigo) reiht sich da qualitativ nahtlos ein. Und das sogar ohne die bildgewaltige Unterstützung durch den dazugehörigen Film… Ja, diese insgesamt 15 Tracks – neun „richtige“Songs und sechs Instrumentals – hat der Tausendsassa aus Omaha als Soundtrack für einen gleichnamigen Film verfasst, dessen Drehbuch er schrieb und bei dem er auch gleich die Regie übernahm. Es geht darin um ein verlobtes Paar am Rande einer Trennung, um Frust und Erwartung, Hoffnung und Misstrauen, vor allem aber um die Rastlosigkeit des „Coming of Age“, den unvermeidlichen
Sprung ins Erwachsenenalter. Vielleicht haben wir im Jahresverlauf ja noch das Vergnügen eines Kinoganges, jetzt genießen wir erst einmal diese wunderbare Musik, die durchaus unsere Fantasie eines cineastischen Handlungsablaufes anzuregen vermag…
Mit den Worten „I get so restless / I feel chained inside my body” eröffnet der Reigen und dockt damit sogleich an jene Sehnsucht nach Sesshaftigkeit an – mithin nach jemandem, der
Mann mit vielen Talenten: Tim Kasher versucht sich auch als Regisseur. das Ganze inklusive Familiengründung lohnend macht.
Musikalisch umgesetzt wird dies mittels einer beinahe schon orchestralen Inszenierung samt Streichern und (seltenen) Bläsern, raffinierter rhythmischer Schwenks, effektiver instrumenteller Schmankerl und eben jener ungemein sendungsbewussten stimmlichen Dringlichkeit, die man auch bei seinem Bruder im Geiste Conor Oberst so schätzt.
Wohl nehmen die beeindruckend substantiellen Lieder naturgemäß eher die Sichtweise des männlichen Protagonisten der Filmhandlung auf, doch ist jederzeit spürbar, worum es diesem geht: um das Ankommen in der eigenen Mitte, wissend, dass man das alleine nicht hinkriegen wird. Nie hat jemand behauptet, dieser Gang sei ein leichter – und dennoch holen einen ja bisweilen (wie im elften Track „An Answer For Everything“) jene Momente ein, an denen man sich in die Zeit des hemmungslosen Verknalltseins zurück sehnt, als alles noch so verdammt leicht war…. Ansonsten gilt es eben auszuhalten („Holding Out“), Chaos zu sortieren („Messes“) oder auch mal das Gefühl von Leere zu ertragen („Hollows“). Wie das Ganze im Falle von „No Resolution“ausgeht, lässt sich am Ende dieses fabelhaften Songreigens durchaus heraushören: Vielleicht verrät es uns Tim Kasher aber auch am 16. März im Saarbrücker Mauerpfeiffer.
>> www.timkasher.com
Dear Reader schwankt auf ihrem neuen Album „Day Fever“zwischen Widerspenstigkeit und Verspieltheit Auch ihre größten Fans wissen es: Miss Reader neigt bisweilen zum Trivialen. Beispielsweise begrüßt uns die Südafrikanerin auf ihrem neuen, nunmehr vierten Album „Day Fever“auf City Slang, mit reichlich Zuckerguss – samt wonniglicher Uuuhhhs…
Nach knapp drei Minuten von „Oh, The Sky!“erschüttern wiederum penetrant zirkelnde, also köstliche Orgel-Schlieren die vermeintlich heile Welt. Zugleich wird auch Cherilyn MacNeil’s Stimme ernster, dunkler, fester. Und das darauf folgende „Tie Me To The Ground“assoziiert ja bereits im Titel nichts Gutes. Das Widerspenstige steckt hier – wie auch das Verspielte – erneut herausfordernd im raffinierten Detail, wo beides seine stimulierende Wirkung umso machtvoller entfalten kann. Alles gemahnt also bereits hier in Vollendung an die Kernkompetenzen von Dear Reader: das virtuose Jonglieren mit den Emotionen, das gewagte Arrangement, das zärtlich Verkünstelte, das sich selbstbewusst Zierende, den süßen Müßiggang, das nichtsdestotrotz unbedingte Sendungsbewusstsein. Was die Künstlerin für die Beschallung des bezaubernden SchwarzWeiß-Filmes „Oh Boy“ja so wunderbar qualifiziert hatte.
Heutzutage sind das behutsame Arrangieren von Songideen, mithin die Demonstration von schierer Klasse in sympathischer Bescheidenheit ja keine weit verbreiteten Tugenden mehr. „Day Fever“ist diesbezüglich eine vergnügliche Lehrstunde. alh