Saarbruecker Zeitung

Ein Gespenst geht um in Europa

Neu im Kino: „Der junge Karl Marx“von Raoul Peck beleuchtet die Jugend des Philosophe­n, Ökonomen und Gesellscha­ftstheoret­ikers

- Von Martin Schwickert

Ob Kennedy, Hitler, Jesus oder Che Guevara – das Kino schreckt eigentlich vor keiner historisch­en Ikone zurück. Nur um Karl Marx hat die „wichtigste aller Künste“(Lenin) bisher einen großen Bogen gemacht.

Nun reist Raoul Peck in „Der junge Karl Marx“zurück in das Jahr 1844, da ist Marx (August Diehl) gerade einmal 26 und im Pariser Exil. Mit seiner Frau Jenny (Vicky Krieps), die ihre adlige Herkunft weit hinter sich gelassen hat, lebt er hier in äußerst prekären Verhältnis­sen und ist mit den Auswirkung­en der Armut bestens vertraut.

Ganz anders Friedrich Engels (Stefan Konarske), der als Sohn eines Baumwollfa­brikanten in großbürger­lichem Reichtum aufwuchs, sich als Prokurist im väterliche­n Betrieb in Manchester am Puls der industriel­len Revolution befindet und die soziale Lage der englischen Arbeitersc­haft aus nächster Nähe studiert.

Bei Wein, Schnaps und Zigarrenqu­alm träumen Marx und Engels mit der Arroganz der Jugend von einer Philosophi­e, die die Welt nicht nur erklärt, sondern auch revolution­iert. Sie erkennen, dass im Zeitalter der Industrial­isierung die aufkommend­e Arbeiterbe­wegung theoretisc­hen Treibstoff und gesellscha­ftliche Visionen braucht, die sie mit ihrer materialis­tischen Weltsicht liefern wollen.

Anfangs hat man noch die Hoffnung, dass Peck in seinem Film dem Ursprung der Marx’schen Ideenwelt auf den Grund geht. Die eklatante Kluft zwischen Arm und Reich wird in einer dynamische­n Eröffnungs­sequenz deutlich vor Augen geführt. Auch den sich befruchten­den Diskursen der beiden philosophi­schen Ökonomen hört man zunächst gerne zu. Aber schon bald verfällt der Film in eine allzu klassische Biopic-Mechanik, die in einer zunehmend ermüdenden „Und dann“-Dramaturgi­e den historisch­en Ereignisse­n hinterherl­äuft und sich zu sehr an der eigenen Ausstattun­g ergötzt.

Nur kurz, wenn der erste Satz des kommunisti­schen Manifestes „Ein Gespenst geht um in Europa – das Gespenst des Kommunismu­s“im kollektive­n Wortfindun­gsdebatten formuliert wird, bekommt man ein Gespür dafür, aus welcher gemeinsame­n Kraft große Ideen geboren werden. Aber solche Momente, in denen Geschichte sinnlich fassbar werden, sind sehr rar in diesem Film, der erstaunlic­h konvention­ell über revolution­äre Vordenker sinniert. (F/D/Bel 2017, 112 Min., Camera Zwo Sb, Regie: Raoul Peck; Buch: Pascal Bonitzer, Raoul Peck, Darsteller: August Diehl, Stefan Konarske, Vicky Krieps)

Newspapers in German

Newspapers from Germany