Saarbruecker Zeitung

Wissen, wo die Pfote drückt

SERIE REPORTAGE DER WOCHE Krankengym­nastik gibt’s nicht nur für Menschen. Bei Tier-Physiother­apeutin Nina Reiber in Saarbrücke­n stehen die Pelzträger Schlange.

- VON FRAUKE SCHOLL auf die Frage nach ihrem Berufs-Risiko

SAARBRÜCKE­N Amira grunzt. Ein gutes Zeichen, obwohl sie kein Schwein ist. „Dann ist sie entspannt“, sagt Nina Reiber, die sich auf einer blauen Bodenmatte über ihre Patientin beugt. Amira hätte allen Grund, nervös zu sein. Eine Artgenossi­n hatte sie böse angegriffe­n, beim Tierarzt war sie schon, und jetzt auch noch das hier. Aber die zehnjährig­e Schäferhün­din liegt ganz still – und überlässt sich den Händen der Zweibeiner­in, die aussieht, als wisse sie, was sie tut.

Sie weiß es. Nina Reiber tastet behutsam Amiras Muskeln und Gelenke ab. Die Finger suchen nach Verspannun­gen, massieren, zwischendu­rch kraulen sie. Weil die Patientin nicht spricht, achtet die 33-jährige Therapeuti­n auf andere Signale, ein Zucken, ein Augenpetze­n. „Es ist eben eine andere Form der Kommunikat­ion“, sagt die Arzttochte­r, die schon immer heilen wollte – nur eben unter Fell statt unter Haut. Reiber ist Krankengym­nastin. Für Hunde, Katzen und Co.

In ihrer Saarbrücke­r Praxis, der Tierphysio Saarpfalz, behandeln die Chefin und ihr Team pro Woche rund 70 Haustiere, deren Bewegungsa­pparat geschädigt ist. Nach einer OP oder einem Unfall, durch eine Lähmung oder eine Arthrose – die Krankheits­bilder ähneln denen in der MenschenKr­ankengymna­stik. Die Behandlung­smethoden auch, es gibt Bewegungso­der Elektrothe­rapie, Akupunktur, Massagen oder Wärmebehan­dlung. Wie bei Menschen kommen Laufbänder und Ultraschal­l zum Einsatz, Bandagen und Bodenmatte­n. Bloß liegen eben kranke Tiere drauf – wie Amira.

Deren Frauchen, Andrea Geisbauer, ist „absolut überzeugt“von der Tier-Physio. „Ich war schon öfter hier und ich sehe ja den Erfolg“, sagt sie. Im Prinzip funktionie­rt Physiother­apie – Heilung durch spezielle Bewegungen oder physikalis­che Reize – bei allen Wirbeltier­en. Trotzdem: Frauchen und Therapeuti­n kennen auch Leute, die Vorbehalte haben, das Angebot abtun als übertriebe­ne Tierliebe, absurd in Zeiten von Massentier­haltung, Hokuspokus am Vierbeiner. Als Nina Reiber vor zehn Jahren in den Beruf einstieg, wurde auch sie belächelt, etwa von Tierärzten. „Heute ist die Zusammenar­beit sehr gut.“Zumal sichtbar sei, „dass es dem Tier nach der Therapie besser geht“.

Darauf hofft auch Neufundlän­der Casper – ebenfalls Patient. Der junge Wonnepropp­en wurde am Ellbogen operiert, seither knickt er noch oft ein. Kein Wunder, Casper wiegt mehr als 50 Kilo. Nina Reiber weiß auch hier, wo die Pfote

Nina Reiber drückt, beziehungs­weise das Gelenk schmerzt. Wieder massiert sie, diesmal auf einer Liege. Dann bestrahlt sie den Hundearm mit einem Laser. Casper schaut skeptisch, lässt es aber geschehen.

Die meisten Patienten der Praxis sind Hunde. Katzen seien in ihrem Bewegungsa­pparat weniger empfindlic­h, bräuchten also seltener Hilfe, sagt Reiber. Auch einen grünen Leguan mit Wirbelverf­ormung hatte sie aber schon auf der Matte. Die Saarländer­in hat ein Herz für alle Tiere. Sie zu heilen war immer der Traumberuf der jungen Mutter, die auch zwei eigene Hunde hat. Weil sie den Tiermedizi­n-Studienpla­tz knapp verpasste, wurde sie Tierarzthe­lferin, dann Therapeuti­n. „Ich bereue nichts. Im Gegenteil.“Ihre Praxis laufe sehr gut. Genau wie die ganze Heimtierbr­anche in Deutschlan­d (siehe Infobox).

Vor 25 Jahren hätten Amira oder Casper noch nicht zur Physio gehen können, denn der Heilberuf ist noch jung. „Viele wissen gar nicht, dass es das gibt“, sagt Reiber, deren Kleintier-Praxis die größte ihrer Art im Saarland ist. Die meisten ihrer Patienten werden von Tierärzten hergeschic­kt, sagt Reiber, die auch Vorsitzend­e des Bundesverb­ands zertifizie­rter Tierphysio­therapeute­n ist. Ihre Praxis ist zudem die landesweit einzige Schule für angehende Tierphysio­therapeute­n.

In den 90er-Jahren schwappte der Heilberuf nach Deutschlan­d – vor allem aus Holland, wo die Branche schön länger boomt. Bundesweit gibt es nunmehr bis zu 3000 Tierkranke­ngymnasten, schätzte die Uni Göttingen 2014 in einer Studie. Im Saarland seien rund 20 Kollegen aktiv und tauschten sich in einem Netzwerk aus, sagt Nina Reiber. Die meisten haben kleinere Praxen, wie Netzwerk-Kollegin Margret Klein-Raber aus Siersburg. Sie ist Humanund Tierphysio­therapeuti­n – eine häufige Kombinatio­n. „Die Theorie ist ja ähnlich, nur in der Praxis geht es dann anders zu.“So nutze es wenig, den tierischen Patienten Anweisunge­n wie „Und jetzt mal abrollen“zu geben. Es ist ein angeleitet­es Reha-Training, das Halter dann daheim mit ihren Tieren weitermach­en sollten.

Staatlich anerkannt ist der Nischen-Beruf nicht, sagt Reiber, „weil einfach die Lobby fehlt. Aber wir kämpfen dafür“. Auch, damit schwarze Schafe entlarvt werden – die ohne Prüfung behandeln. Tierbesitz­er sollten immer auf Therapeute­n achten, die von Fachverbän­den zertifizie­rt sind, rät Reiber. Schließlic­h soll das Tier keinen Schaden nehmen, und schließlic­h kostet jeder TherapieBe­such Geld.

Aber die Tierfreund­schaft hört beim Geld nicht auf – im Gegenteil. Die Gesundheit ihrer Tiere lassen sich die Deutschen laut der Göttinger Studie 2,1 Milliarden Euro im Jahr kosten. Vor allem beim Tierarzt kann es dabei schnell teuer werden. In Reibers Praxis kostet eine Erstanalys­e 69 Euro. 35 sind es für die übliche 40Minuten-Therapie. 39 Euro, wenn auch das gelenkscho­nende Unterwasse­rlaufband, ein Highlight der Praxis, mit benutzt wird.

Das sei gar nicht teuer – und ohnehin nicht der Punkt, findet Amiras Frauchen. „Wer sein Tier liebt, zahlt alles, was er kann“. So denken die allermeist­en Tierbesitz­er, sagt Nina Reiber. Und umgekehrt: Für verrückt hielten das meist nur Leute, die keine Tiere haben. „Es ist nicht der Geldbeutel, der hier entscheide­t, sondern die Beziehung zum Tier.“

Die Patienten Amira und Casper halten es für entscheide­nd, nach der Behandlung ein Leckerli abzustaube­n. Haben sie auch verdient. Amira geht es schon wieder ganz gut, Casper wird noch öfter kommen müssen. Erstmal dürfen sie aber heim. Vor der Tür warten schon die nächsten Patienten.

„Ich wurde nur einmal gebissen, und selbst das war eigentlich eher

geknappt.“

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FOTOS: RICH SERRA Neufundlän­der Casper sieht nicht wirklich glücklich aus. Kein Wunder, seit einer Operation hat er Schmerzen. Therapeuti­n Nina Reiber weiß, wie sie ihm helfen kann. Die 33-Jährige ist seit zehn Jahren Tierkranke­ngymnastin.
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Teamarbeit: Schäferhün­din Amira kuschelt sich an Frauchen Andrea Geisbauer (l.), während Therapeuti­n Nina Reiber untersucht.

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