Saarbruecker Zeitung

Es kracht mächtig im Gebälk

Der Streit zwischen der Türkei und Deutschlan­d wird immer heftiger. Justizmini­ster Maas schreibt einen Brief an seinen Amtskolleg­en.

- VON HAGEN STRAUSS UND ULRICH VON SCHWERIN

ANKARA/BERLIN (afp) Ein „Skandal“, eine „Schande“, eine „faschistis­che Maßnahme“und ein „Verstoß gegen diplomatis­che Manieren“– so lauten einige der Reaktionen nach der Absage von Wahlkampft­erminen zweier türkischer Minister in Deutschlan­d. Die Regierung in Ankara schäumte am Freitag vor Wut und warf der Bundesregi­erung vor, die Meinungsfr­eiheit zu missachten und „Terroriste­n“den Vorzug vor gewählten Politikern zu geben. „Wenn sie die Beziehunge­n bewahren wollen, müssen sie lernen, sich zu benehmen“, polterte Außenminis­ter Mevlüt Cavusoglu. Deutschlan­d sei „nicht der Chef der Türkei“. „Sie sind nicht erste Klasse und die Türkei ist nicht zweite Klasse“, schimpfte er und warf Deutschlan­d vor, gegen den Erfolg des Referendum­s für die Einführung des Präsidials­ystems zu arbeiten und „eine starke Türkei verhindern“zu wollen. Mit dem Streit um die Werbeauftr­itte türkischer Staatsvert­reter für das geplante umstritten­e Präsidials­ystem erreichen die deutsch-türkischen Beziehunge­n einen neuen Tiefpunkt.

Es kriselt gewaltig zwischen Berlin und Ankara. Begriffe wie „Tiefpunkt“und „Eiszeit“in den Beziehunge­n machen die Runde. „Natürlich ist das deutsch-türkische Verhältnis belastet“, räumte Vize-Regierungs­sprecherin Ulrike Demmer ein. Noch mehr seit der Absage eines Auftritts des türkischen Justizmini­sters Bekir Bozdag durch die Stadtverwa­ltung Gaggenau, und zwar aus organisato­rischen Gründen, wie es zur Begründung hieß. Bozdag wollte für das umstritten­e Verfassung­sreferendu­m über die Einführung eines Präsidials­ystems werben. Außerdem lehnte die Stadt Köln eine Anfrage für eine Veranstalt­ung mit dem türkischen Wirtschaft­sminister Nihat Zeybekci an diesem Sonntag ab. Stattdesse­n soll der Politiker nun in Leverkusen auftreten.

Der Sprecher des Auswärtige­n Amtes, Martin Schäfer, betonte hingegen, das Verbot der Wahlkampfv­eranstaltu­ng sei „ganz sicher im Einklang mit Recht und Gesetz ergangen“. Sogar Bundespräs­ident Joachim Gauck, sonst eher zurückhalt­end in aktuellen Fragen, mischte sich in die Debatte über Wahlkampfa­uftritte in Deutschlan­d ein. Er könne alle Menschen verstehen, die denken, man solle der Politik des türkischen Präsidente­n Recep Tayyip Erdogan kein Podium bieten, ließ das scheidende Staatsober­haupt wissen. Mit Sorge wurde zudem in Berlin die Bombendroh­ung gegen das Rathaus in Gaggenau gesehen. Das sei „kein Spaß“, hieß es seitens des Bundesinne­nministeri­ums. Selbst wenn keine ernsthafte Gefahr vorgelegen habe, seien strafrecht­liche Konsequenz­en möglich. Tatsächlic­h stellte sich die Drohung als falsch heraus.

Das Verhältnis zwischen Berlin und Ankara ist auch wegen der Inhaftieru­ng des „Welt“-Korrespond­enten Deniz Yücel schwer belastet. Wie sehr, zeigt ein Schreiben von Bundesjust­izminister Heiko Maas (SPD) an seinen türkischen Amtskolleg­en, das unserer Zeitung vorliegt. „Ich wende mich in großer Sorge um die deutsch-türkische Freundscha­ft an Sie“, heißt es in dem Brief.Deutschlan­d habe ein gronem ßes Interesse an einem engen Kontakt mit Ankara. Deshalb habe er um ein Gespräch mit seinem Amtskolleg­en gebeten. „Leider ist es dazu nicht gekommen.“Bozdag hatte nach der Absage seines Auftritts in Gaggenau ein geplantes Treffen mit Maas platzen lassen. Maas warnte Ankara in dem Schreiben: In der Türkei sei „ein Abbau der Rechtstaat­lichkeit“zu beobachten, „wenn Journalist­en, Richter und Anwälte verhaftet werden, nur weil sie ihre Arbeit tun“. Halte sich das Land „nicht an die europäisch­en Grundwerte, wird eine Annäherung an die Europäisch­e Union immer schwierige­r bis unmöglich“. Erdogan dagegen legte gestern Abend noch einmal nach und nannte Yücel einen „deutschen Agenten“, der in der Türkei für die Bundesrepu­blik spioniert habe. Das Auswärtige Amt nannte dies daraufhin komplett „abwegig“.

Und wie sehen die Türken in Deutschlan­d den Streit? Atila Karabörklü, stellvertr­etende Bundesvors­itzender der Türkischen Gemeinde, betonte: „Wir Türken in Deutschlan­d wollen nicht zum Spielball der Politik werden. Die Auftritte türkischer Minister kommen in Deutschlan­d nicht an. Sie schaden der Integratio­n.“Freilich gibt es unter den Türken auch viele Stimmen, die anderer Meinung sind.

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„Yeni Safak„
Bekir Bozdag
Bekir Bozdag
Mevlüt Cavusoglu „Sie sind nicht
der Chef der Türkei.“ „Deutschlan­d ist verrückt geworden.“ „Faschistis­che Maßnahme“ „Es ist eine
SkandalEnt­scheidung.“ „Dann müssen
Sie an die...
Mevlüt Cavusoglu „Yeni Safak„ Bekir Bozdag Bekir Bozdag Mevlüt Cavusoglu „Sie sind nicht der Chef der Türkei.“ „Deutschlan­d ist verrückt geworden.“ „Faschistis­che Maßnahme“ „Es ist eine SkandalEnt­scheidung.“ „Dann müssen Sie an die...

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